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Dem Ende entgegen! John Bocks Installation „Fischgrätenmelkstand“, die letzte Ausstellung am Schlossplatz.

© Robert Schlesinger/dpa

Temporäre Kunsthalle: Auferstehen aus Ruinen

Die Kunsthalle schließt, die Infobox kommt. Weiße Wände oder altes Gemäuer: Welche Räume braucht die Gegenwartskunst in Berlin?

Schwankender Boden, schwindelnde Tiefe. Absturz immer möglich, grandioser Ausblick garantiert. Ein Experiment mit offenem Ausgang, ein Balanceakt zwischen Trash und Triumph: John Bocks „Fischgrätenmelkstand“, diese Holzkonstruktion, mit dem der Installations- und Performancekünstler das Ende der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz zum himmelstürmenden Finale verwandelt hat, ist das Beste, was in Berlin in Sachen Gegenwartskunst derzeit zu sehen ist. Auch, weil dem Ganzen sein Ende so spürbar eingeschrieben ist.

Die vergammelnden Pizzen, eine Hommage an Martin Kippenberger, die Tiefenbohrungen in den Betonuntergrund von Adrian Lohmüller, Sergio Leones todestrunkene Westernballade, die als Endlosschleife über die Wände flimmert, ein bisschen Heimeligkeit in Wohnwagenwänden, das in der Luft hängende Holzhaus, das an den Schweizer Messie und „Flatterkünstler“ Armand Schulzhess erinnert, Julian Rosefeldts Vexierspiegel, der den Blick auf das sich eitel im Kreis drehende Kunstpublikum lenkt – es ist ein Abenteuerspielplatz, ein großer Jahrmarkt der befreundeten Geister.

Kein Wunder, dass gerade das jüngere Publikum diese Installation stürmt wie lange keine mehr. Und passend auch, dass im Zentrum des Treibens eine stille Hommage an den Luftgeist Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso steht. Was als freundschaftliche Solidaritätsgeste gedacht war, gerät nun unversehens, jäh zum Memento Mori.

Ein Muskelspiel, ein Kräftemessen. John Bocks Installation sprengt den Rahmen, drängt durch Wände, Dach und Boden der schlichten Box, die als Temporäre Kunsthalle zwei Jahre lang den Berliner Schlossplatz für Gegenwartskunst geöffnet hat. Dass die Kunsthalle, wie angekündigt, heute tatsächlich schließt – man hätte es zuletzt, mit zunehmendem Erfolg, kaum geglaubt. Vor einem Jahr, als Kuratorenhavarie und Kleingeistigkeit das Projekt schon zur Halbzeit zu kippen drohten, hätte wohl keiner darauf gewettet, dass die Kunsthalle am Ende für ein Erfolgsmodell stehen würde. Eines, das man gern noch länger beobachtet hätte. Zumal die Not zum Abriss, ursprünglich durch den Baubeginn am Schlossplatz vorgegeben, nun gerade nicht besteht.

An diesem zentralen Ort ging es immer darum, welche Räume Künstler brauchen zum kreativen Spiel. Am Anfang, mit der heute legendären Ausstellung „White Cube“ im abbruchreifen Palast der Republik, war es der neutrale Raum, eine weiße Sperrholz-Box, die inmitten der Untergangstristesse der Palastruine Berliner Künstlern den Freiraum zur Inszenierung, zum Auftritt bot. Eine Eigeninitiative, organisiert von Constanze Kleiner und Coco Kühn, die dann die Gründungsmütter der Temporären Kunsthalle wurden – und den Platz nach einem Jahr räumen mussten.

Der ausgeweidete Palast der Republik, mit seinen angelaufenen Spiegelscheiben hatte Künstler aus aller Welt über Jahre hinweg inspiriert wie kaum ein anderer Ort in Berlin. Doch schon die „White Cube“-Ausstellung war im Grunde ein Abschied: vom übermächtigen Geist des Hauses, von Geschichte und Atmosphäre. Dass die Entscheidung zur Temporären Kunsthalle statt für die überkandidelte Wolke der Architekturgruppe Graft am Ende für Adolf Krischanitz’ simple Kiste fiel, zeigt eine Richtung auf – weg von Ruinenromantik, hin zu neutralen Räumen. Die sich, siehe John Bock, dann wieder kreativ verwandeln lassen.

White Cube oder Ruinenromantik: Das ist Berlins Gretchenfrage seit den Neunzigern. Ein Beispiel: die Auguststraße. Hier gründete Klaus Biesenbach seine Kunst-Werke einst in den malerischen Räumen einer ehemaligen Margarinenfabrik – nur um diese dann Schritt für Schritt zu neutralisieren. Die große Halle, die hinter dem historischen Gebäude gebaut wurde und seitdem als Haupt-Ausstellungsfläche dient, ist ein Raum, wie ihn Kunsthallen überall auf der Welt bieten. Und wurde bei der diesjährigen Berlin Biennale, die im August zu Ende ging, folgerichtig von Petrit Halilaji in einen Streichelzoo verwandelt, mit einer überbordenden Holzkonstruktion, die das Dach der Halle durchbricht und an die Struktur seines Elternhauses in Pristina erinnern sollte – lebende Hühner eingeschlossen. Die Parallele zu John Bocks Installation ist unübersehbar.

Zweites Beispiel: C/O Berlin. Die Fotogalerie, die gerade vom Investor aus dem alten Postfuhramt vertrieben wird, hatte mit dem maroden Charme des Gebäudes oft genug zu kämpfen. Unzulängliche klimatische Bedingungen waren eine Belastung für Kunst und Besucher, und wenn die Kunst nicht stark genug war, drohte der Raumeindruck übermächtig zu werden.

Dass musste selbst Annie Leibovitz erfahren, die mit der Inszenierung ihrer Fotoausstellung in Berlin schwer zu kämpfen hatte und nur in der ehemaligen Turnhalle im Obergeschoss, dem größten Raum des Hauses, zum überzeugend monumentalen Auftritt fand. Vielleicht kein Zufall, dass C/O-Berlin-Mitbegründer Ingo Pott erklärt, er würde am liebsten selber bauen: „Bisher haben uns die bestehenden Gebäude geformt, nun würden wir gerne einen Solitär selbst gestalten.“

Die Liste lässt sich fortsetzen: Die Berlinische Galerie kann im neutralen Raum des ehemaligen Glaslagers an der Alten Jakobstraße großzügig inszenieren. Das Museum für Fotografie in der Jebenstraße macht den ehemaligen Kaisersaal zum Showcase für Architekturfotografie. Christoph Tannerts Künstlerhaus Bethanien nimmt bei Auszug aus dem historischen Gebäude am Mariannenplatz nur den eingeführten Namen als Marke mit und bespielt in der Kottbusser Straße nun unbelastetere Räume. David Chipperfields gefeierte Restaurierung des Neuen Museums entfaltet ein solches Feuerwerk an Raumeindrücken, dass die Ägypter-Sammlung schwer zu kämpfen hat. Nicht umsonst sind es die modern gehaltenen Räume, der Glaskubus für die Amarna-Porträts, die neuen Galerieräume mit den Figurengruppen, die aus Museumssicht am meisten überzeugen.

Verfall und Zerstörung und die ihnen innewohnende Faszination gibt es in Berlin quasi gratis dazu, auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung samt des sie begleitenden Baubooms. Und viele haben mit übermächtigen Räumen zu kämpfen: Christian Boros in seinem Kunstbunker zum Beispiel, der mit seinen monströs monumentalen Räumen die Kunst schier zu erdrücken scheint. Eine Ausstellung von Dresdner Kunststudenten im Luftschutzbunker an der Fichtestraße wurde hingegen zu einem Geheimtipp dieses Kunstsommers. Weil die jungen Künstler, anders etwa als die Stars bei Boros, sensibel und mit Witz auf den Ungeist des Ortes reagierten. Und doch erklärten gleich mehrere, ihnen wäre ein neutraler Raum eigentlich lieber gewesen.

Was also lehrt das zweijährige Interimsspiel am Schlossplatz in Hinblick auf eine künftige Kunsthalle? Vielleicht, dass Berlins Künstler inzwischen so professionalisiert sind, dass sie nicht mehr die romantischen Räume suchen, sondern Museumsbedingungen für ihre Kunst. Auch Berlins Galerien bieten zunehmend museale Präsentationen. Und nicht umsonst hat Udo Kittelmann einem Gegenwartskünstlerstar wie Thomas Demand die Halle der Neuen Nationalgalerie angeboten. Die Zeit der Zwischennutzungen und Experimente, die Berlin in den Neunzigern zum Abenteuerspielplatz für Künstler aus aller Welt gemacht hatte, scheint vorbei. Man mag das, siehe John Bock, durchaus als Verlust empfinden.

Währenddessen wächst auf dem Schlossplatz die Infobox heran: ein Monstrum aus Beton, gebaut wie für die Ewigkeit. Ob man sie überhaupt braucht, während der Schlossbau gerade aufgeschoben wird, ist noch die Frage. Vielleicht bleibt von allen Rekonstruktionsträumen am Ende nur dieses Betonungetüm, als Mahnmal für Berliner Größenwahn. Die kleine Kunsthalle räumt indes am Mittwoch den Platz. Die Zeit des Temporären ist vorbei.

Am heutigen Dienstag verabschiedet sich die Kunsthalle ab 20 Uhr mit Konzert und Feier am Schlossplatz.

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