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Der Dirigent Teodor Currentzis und sein Ensemble MusicAeterna.

© Anton-Zavyalov

Teodor Currentzis im Radialsystem: Der Furor der Fünften

Eine "Radiale Nacht" mit dem Dirigenten Teodor Currentzis und seinem Ensemble MusicAeterna im Radialsystem.

Teodor Currentzis eilt aus dem fernen, kalten Perm der Ruf voraus, alles anders zu machen im klassischen Musikbetrieb. Der griechische Dirigent und Wahlrusse schüttelt die Hochkultur aus ihrem Traum von Bedeutung und will ihr jenseits von Tarifabsicherungen das Unbedingte zurückgeben. Nächtelang proben, Kunst leben, keine Kompromisse. Normale Konzerte kann einer wie Currentzis eigentlich nicht mehr geben, es müssen Feste sein, mindestens.

Jetzt kommt er mit seinem Orchester MusicAeterna zum zweiten Mal ins Berliner Radialsystem, wo sich Jochen Sandig als Gleichgesinnter fühlt, alle Türen öffnet und dazu die Tänzerinnen und Tänzer von Sasha Waltz & Guests in Gang setzt. Diesmal soll es eine „Radiale Nacht“ werden, die obendrein an David Bowie erinnern will.

Ursprünglich erbaut, um Berliner Abwasser aus der Stadt zu pumpen, hat das Radialsystem eine wunderbar klingende Halle und einen offenen Saal. Was es nicht hat, sind Wege, die Hunderte zugleich in die oberen Etagen führen können. Dort ist ohnehin kein Platz, um in den beiden Studios zu sehen, was bewegten Körpern zu DJ und Klavier einfällt.

Der Auftakt zur „Radialen Nacht“ ist nur unwesentlich einladender, als im Schneetreiben an einer Clubtür zu kratzen. Auch Currentzis’ Musiker, die als Kammervirtuosen die Lounge bespielen, kommen nach reichlich bravem Mozart erst bei Prokofjew und Glass in Fahrt – und in Kontakt mit dem wartenden Publikum, das wenigstens einen Platz im großen Saal zu ergattern sucht.

Endlich hineingezwängt, empfängt Currentzis, der Zauberer, sein Publikum: Pärts „Psalom“ als beinahe tonlose Meditation im dunklen Raum, Bibers „Battalia“ als angriffslustige Kunstschlacht und Beethovens Fünfte, deren Furor alles geborgte Pathos davonfegt. Dass es dann doch nicht ohne Kitsch abgeht, liegt an Hausherr Sandig, der besser darauf verzichtet, Etikettenschwindel mit dem Namen Sasha Waltz zu treiben. Immerhin dürfen die Tänzer ein Transparent mit der Bowie-Zeile „The Sun is coming down and we’re gonna have a Party“ hereintragen. Daraufhin rasten sie schreiend aus. Vielleicht hätten sie den Song „Memory of a Free Festival“ vorher noch einmal hören sollen. Da singen und klatschen irgendwann alle mit, ohne dass es peinlich wird.

Man kann ja auch charmant flunkern, wie Currentzis, der so tut, als sei die Geigerin Patricia Kopatchinskaja zufällig im Publikum. Was die beiden mit Mozarts 5. Violinkonzert anstellen, geht über einen Flirt mit der Klassik weit hinaus. Hier wird aufgestampft und zugepackt. Kopatchinskaja vollbringt dabei das Kunststück, einen übermütigen Vogel auf ihrer Geige zu spielen und zugleich die Katze, die ihn frisst. Jubel und flotter Abgang. Zur Aftershow drehen nur ein paar Tänzer noch eine Runde, allein in ihrem Haus.

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