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Ob die Skulptur eines geflügelten Stiers in Nimrud, die hier von Arbeitern im Jahr 2001 präsentiert wird, jetzt den Zerstörungen zum Opfer fiel, ist ungewiss.

© AFP

Terror gegen archäologische Schätze im Irak: Mit Bulldozern gegen das Menschheitserbe

Nach den Angriffen auf Ninive und Mossul haben die Terroristen des „Islamischen Staats“ ein neues Ziel gefunden: Sie planieren Nimrud. "Die Zerstörung der antiken Metropole ist eine Katastrophe für das Kulturerbe der Menschheit“, sagt der Berliner Museumsmann Markus Hilgert.

Der Krieg gegen die kulturelle Identität des Irak und gegen das Weltkulturerbe der Menschheit geht weiter. Mit brachialer Gewalt haben die Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staates nach Angaben der irakischen Antikenverwaltung die Grabungsstätte von Nimrud, dem assyrischen Kalchu, eingeebnet. Sie benutzten dabei Bulldozer und schweres Militärgerät. Die Islamisten haben damit ihre Drohungen nach den Zerstörungen von Mossul und Ninive aus der vergangenen Woche wahr gemacht. Nimrud – dreißig Kilometer südöstlich von Mossul gelegen – ist nicht irgendeine Grabungsstätte, sondern die zweite Hauptstadt des neuassyrischen Reiches, das sich unter König Assurnasirpal II. (883-859 v. Chr.) vom westlichen Iran bis zum Mittelmeer erstreckte. Damals lag die Stadt direkt am Tigris. Heute befindet sie sich ein paar Kilometer im Landesinnern.

Der Ort war seit prähistorischen Zeiten bewohnt, wurde aber im Zusammenhang mit der Ausdehnung des assyrischen Reiches im 13. Jahrhundert vor Christus zu einer bedeutenden altorientalischen Metropole von gewaltigen Ausmaßen. In spätassyrischer Zeit erstreckte sich Nimrud auf einem Areal von 360 Hektar, allein die Zitadelle im Südwesten nahm eine Fläche von 20 Hektar ein. Von den Assyrern wurde die Stadt Kalchu genannt, in der Bibel wird sie Calah genannt, Nimrud ist der moderne Name und bezieht sich auf den biblischen Jäger Nimrod, der nach dem Alten Testament der Begründer der Dynastie der Assyrer war.

Nimrud gehört wie Ninive, Assur und Ur zu den magischen Namen des Alten Orients. Immer wieder beflügeln sie die Phantasie, sind doch im Zweistromland die ersten Metropolen der Menschheit überhaupt entstanden. Weil Nimrud genauso wie Ninive aus der Bibel bekannt war, zog es immer wieder westliche Reisende dorthin. Schon 1820 erwähnte der Resident der East India Company in Bagdad, Claudius James Rich, die Ruinen von Nimrud in einem Bericht. Aber es war der englische Amateurarchäologe Austen Henry Layard, der von 1845 bis 1847 und dann noch einmal von 1849 bis 1851 die ersten Grabungen in Nimrud organisiert hatte. Der Mann mit dem beeindruckenden altbiblischen Vollbart gilt als Begründer der Altorientalistik. Mit ihm begann die moderne Geschichte von Nimrud, das er irrtümlich zunächst für Ninive gehalten hatte.

Layard war kein Archäologe im modernen Sinne, sondern daran interessiert, die großen Skulpturen und Wandreliefs für das British Museum in London zu sichern. Er legte die mächtigen Stadtmauern frei, entdeckte verschiedene Paläste und Tempel sowie die ersten wunderbaren Elfenbeinschnitzerein, von denen bei späteren Expeditionen immer wieder Beispiele gefunden werden sollten. Layards Erinnerungen „Ninive and its Remains“ lösten 1849 im viktorianischen England eine wahre Mesopotamienbegeisterung, geradezu eine Orient-Mania aus. Vor allem die Lamassu, geflügelte Schutzgenien mit Löwenkörper und menschlichem Antlitz – eine ähnliche wurde letzte Woche in Ninive zerstört – begeisterten das Publikum und stiegen zu Ikonen irakischer Identität auf.

König Assurnasirpal feierte die Einweihung seines Palastes in Nimrud mit 70 000 Gästen.
König Assurnasirpal feierte die Einweihung seines Palastes in Nimrud mit 70 000 Gästen.

© rb

Wichtig für die Wissenschaft wird Nimrud wieder mit dem britischen Stararchäologen Sir Max Mallowan, dem Ehemann von Agatha Christie, der 1949 einen Antrag auf Wiederaufnahme der Grabungen in Nimrud stellt. Agatha Christie hatte sich in den Ort verliebt, „ein herrliches Fleckchen Erde (...). Der Tigris war nur eine Meile weit weg, und auf dem gewaltigen Grabhügel der Akropolis ragten große assyrische Steinköpfe aus dem Boden (...). Eine hinreißend schöne Landschaft – friedlich, romantisch und von der Vergangenheit durchdrungen“, schreibt sie

Mallowan war Direktor der British School of Archeology in Iraq und Professor für Vorderasiatische Archäologie an der Universität London. Von 1949 bis 1957 leitete er die Ausgrabungen, die zunächst bis 1963 fortgesetzt wurden. Er konzentrierte sich auf den Palast des Assurnasirpal, der alleine 200 Meter lang und 120 Meter breit war. Von hier stammen die berühmten Reliefplatten, die von der hohen Kunstfertigkeit der Assyrer Zeugnis ablegen und sich heute in London befinden. Einer große Stele vor dem Palast zeigt, wie König Assurnasirpal die Einweihung dieser Residenz gefeiert hatte. 70000 Gäste waren geladen, darunter 16000 Einwohner der Stadt, 5000 Gesandte aus den gerade erst blutig eroberten Gebieten. Zehn Tage lang dauerten die Festiviäten, sie kosteten – wenn man den Inschriften glauben darf – 10000 Tauben das Leben. 10000 Schläuche Wein und ebenso viele Humpen Bier wurden getrunken. Im Verwaltungstrakt des Palastes fanden die Archäologen zahlreiche Keramiken, Rollsiegel und deren Abrollungen.

Wie der Museumsmann John Curtis schreibt, gelang Mallowan einer seiner spektakulärsten Funde in einem Ziehbrunnen. Er entdeckte verschiedene Elfenbeinschnitzereien von hoher Qualität, darunter ein Frauengesicht, das als die „Mona Lisa von Nimrud“ oder als „Die Dame aus dem Brunnen in die Beschichte eingegangen ist – heute alles im British Museum in London zu bewundern. Elfenbeinschnitzerein wurden auch an anderer Stelle gefunden, sie sind ein Markenzeichen Nimruds geworden. Bei der Rettung der Schnitzereien aus dem Brunnen hatte sich Agatha Christie bewährt, musste sie doch die zerbrechlichen Funde, eingehüllt in feuchte Tücher, allmählich an die Trockenheit gewöhnen. „Wie spannend es war,; die Geduld, die Sorgfalt, die verlangt wurde; das Zartgefühl der Berührung.“

„Nimrud war ein außerordentlich schöner Ort, im Frühjahr mit sattem Grün und Feldblumen bedeckt, die der winterlichen Regenzeit folgten“, schwärmt die Archäologin Joan Oates aus Cambridge, die lange in Nimrud geforscht hat. Die friedliche Idylle hat die Zeiten nicht überstanden. Während des Irakkrieges 2003 hatte die US-Armee dort Stellungen eingerichtet und dabei antike Artefakte ruiniert. Doch das, was der IS jetzt anrichtet, sprengt alle Vorstellungen. „Die absichtliche Zerstörung von Kulturerbe ist ein Kriegsverbrechen“, sagt die Direktorin der Unesco, Irina Bokova. Alle politischen und religiösen Anführer der Region müssten deutlich machen, dass es keine Rechtfertigung für den Bildersturm gebe. Außerdem habe sie den UN-Sicherheitsrat und den Staatsanwalt des Internationalen Strafgerichtshofs angerufen.

Für Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museum in Berlin, ist der Angriff auf Nimrud ein erneuter Schock: „Die Zerstörung von Nimrud ist eine Katastrophe für das Kulturerbe der Menschheit.“ Aber es werden nicht nur Kunstwerke und Architekturdenkmäler mutwillig zerstört, sondern auch wertvolle Fundzusammenhänge. Den Artefakten, die die Archäologen gefunden haben, wird der soziale Kontext genommen. Ein Ohrring aus einem Grab erzählt eine andere Geschichte als einfach ein Ohrring aus irakischer Erde. Die Zerstörung der Fundzusammenhänge macht weitere Forschung unmöglich, da die Funde nicht mehr ihre Geschichte erzählen können. „Wenn nichts getan wird, dann ist das einmalige Kulturerbe im Irak und auch in Syrien in zehn oder 15 Jahren verschwunden.“

Die Attacken des IS sind ein Anschlag auf das Erbe der Menschheit. Aber schon seit 25 Jahren gibt es im Irak Raubgrabungen und Zerstörungen im großen Stil. Erst jetzt erst wird die Weltgemeinschaft wach. Auf internationaler Ebene muss der Schutz der Kulturgüter verstärkt werden und der illegale Handel mit diesen Gütern unterbunden werden. In Nimrud wurden neben schwerem Räumgerät auch Lastwagen gesichtet, die vermutlich weitere Kunstwerke für den illegalen Handel abtransportiert haben. Fachleute bangen jetzt schon um Hatra, eine Stadt aus der Zeit der Parther, die ebenfalls im Machtbereich des Islamischen Staats liegt. (mit AFP)

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