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Kultur: Terror im Herzen

Salzburger Festspiele: Chaya Czernowin verwickelt Mozarts „Zaide“ in den Nahostkonflikt

So also klingt es, wenn die Liebe stirbt, wenn der Terror sich in unsere Herzkammern stiehlt: ein Stammeln loser Laute, erst zugetan, kosend, den Puls des anderen synchronisierend, dann plötzlich aus dem Nichts ein „r“, ein „d“, Konsonanten wie Giftpfeile, wie Stacheln im Fleisch – und Schmerz, Aggression, nackte Verzweiflung. Worte, die töten. „Adama“, sagt die Frau, die aus Israel kommt und ein schwarzes Kleid trägt, „ardun“, antwortet der Mann, ein Palästinenser: Erde. Nur, welche Erde? Und auch: welches Blut, welche Mutter? Deins? Meins? Unseres? Eures?

Es gehört zu den eindrücklichsten Momenten dieser heiklen, wichtigen Salzburger Mozart-Premiere, wenn Regisseur Claus Guth und seine Videokünstler Alex Buresch und Kai Ehlers in dieser Szene alle Projektionen rückwärts laufen lassen. Bilder aus dem heutigen Palästina, dem heutigen Israel, Menschen in Städten, Fahrten über ein störrisches, karstiges Land, Minarette, Panzer, die Mauer. Rückwärts, das heißt: die Zeit, die Geschichte zurückdrehen, auf Anfang, immer schneller, bis das Jahr 1948 wieder erreicht sein wird, die Wurzel des Nahost-Konflikts. Gegen diese innere Uhr, gegen das Diktat „seines“ kollektiven Gedächtnisses ist der Einzelne machtlos. Ein Gnom im Kampf der Gewalten. Und keine Liebe zählt.

Folgerichtig lässt Bühnenbildner Christian Schmidt seine kärgliche Möblierung – Küchentisch, Stuhl, Heizkörper – im zweiten Akt ins grotesk Riesenhafte schießen. Wie Ameisen krabbeln die Figuren der beiden Stücke nun an verchromten Tisch- und Stuhlbeinen herauf und herunter. Armselig, lächerlich, hoffnungslos. Wie alles, was das menschliche Maß verliert. Das Schicksal der Muslimin Zaide, die den Christen Gomatz liebt, mit diesem flieht, um von den Schergen des bösewichtelnden Sultans Soliman alsbald wieder festgesetzt und zum Tode verurteilt zu werden, es scheint ebenso besiegelt wie das der namenlosen Frau und des namenlosen Mannes.

Schon will einen die Einfachheit der Mittel ein bisschen ermüden – und das gilt auch für Chaya Czernowins „Adama“-Einschübe, die sich vielfach auf das Nötigste beschränken –, da ergreift Mozart das Wort: „O selige Wonne!/ Die glänzende Sonne steigt/ lieblich empor.“ Ein Terzett wie nicht von dieser Welt. Feinster pastoraler Singspielton, saubere Kontraste, eine Vorahnung von Aufklärung – fast eine Provokation. Und eine der wenigen Nummern in dieser frühen kleinen Türkenoper (neben Zaides „Tiger“-Arie und dem finalen Quartett), die bereits eine echt Mozartische Fallhöhe und Tiefenschärfe besitzen. Genau diese Verkapselung des dramatischen Genies jedoch, seine ersten, noch etwas hölzernen Gehversuche sind es, die die Problematik des Abends zuspitzen.

Denn was soll einem unter den besagten politischen Anführungsstrichen und brennenden Aktualitäten eine Musik wie diese? Was ist einem überhaupt das ganze „Zaide“-Fragment des 23-jährigen Mozart mit seinem schaurigen Libretto, seinen blinden Flecken (es fehlen Ouvertüre, Finale und Zwischentexte) und seinem unbändig-ungelenken Musizierwillen zwischen Buffo-Geist, Liederton und Seria-Pathos: 16 Nummern reine Utopie vielleicht? Ein marmorierter Gruß aus dem Himmel junger Klassiker? Eine Hanswurstiade, ein lustiges Stück Theater im Theater? Oder ganz einfach der Renner des Mozartjahres?

Formal sind die Antworten rasch gegeben. „Zaide“, das „tragische“ Singspiel, diese deutsche Operette, blieb unvollendet, bricht an entscheidender Stelle ab, ein Torso, dessen Bruchstellen behandelt sein wollen. So versuchte die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck in Erlangen das verschollene Libretto unlängst durch heutig plärrende Dialoge wettzumachen. In Luzern koppelte die Regisseurin Tatjana Gürbaca das Ganze mit Joseph Martin Kraus’ Singspiel „Soliman II. oder die drei Sultaninnen“. Und in Wien entschloss sich Peter Sellars dazu, die Löcher mit Entr’act-Musiken aus Mozarts Geschwisterstück „Thamos“ zu stopfen. Ob das eine nun besser, das andere schlechter funktioniert: Prothesen, Krücken sind es allesamt. Mozart kommt hier nicht wieder. Die Freiheit aber, die die Salzburger Festspiele sich im Rahmen ihres „Mozart 22“-Jubiläumsmarathons nun nahmen, einen lebendigen Dialog zu entzünden, mit „Zaide“ und über „Zaide“ hinaus, diese Freiheit ist gewiss die kreativste, riskanteste und letztlich einzig angemessene Lösung. Glückt sie, stellt sie unweigerlich die Frage, wie und ob die Oper überhaupt ein Medium für zeitgenössische Bedürfnisse und Mitteilungen sein kann.

Chaya Czernowin, die israelische Komponistin, hatte vor dieser großen Chance offenbar große Angst. Wie gesagt, Mozart mag noch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen sein (erst in der „Entführung“ und im „Idomeneo“ entpuppt er sich). Gleichwohl erfordert es Mut und auch eine gewisse Kessheit und Chuzpe, ihm ins Auge zu blicken. Ein eigenes Musiktheater namens „Adama“ zu komponieren, welches die Geschichte einer unmöglichen Liebe in Nahost erzählt und sich vielfach spiegelbildlich zur „Zaide“ verhält, ist das eine. Das andere wäre gewesen, beide Stücke, beide Partituren so zu durchwirken, dass aus dem zunächst notgedrungen akademisch konstruierten „Gespräch“ eine Debatte wird, eine Auseinandersetzung, eine Überwältigung und Vereinnahmung: ein Liebesakt. Unter gegenseitigen Opfern, gewiss, und nicht ohne Eingriffe. Der Werkbegriff hätte zur Diskussion gestanden, die Antastbarkeit des Textes. Allein: Wie offen müssen Mozarts Flanken denn noch sein, dass die Musikwelt sich endlich traut, ihn anzufassen?

Dabei hätte Czernowin keiner einzigen „Zaide“-Note auch nur ein Haar krümmen müssen. Viel wäre im Salzburger Landestheater gewonnen gewesen, wenn sie ihr eigenes Prinzip der „Überlappungen“ konsequenter verfolgt hätte, eisiger, radikaler: mehr Czernowin als Mozart hören in einem Duett wie Zaides/Gomatz’ „Meine Seele hüpft vor Freuden“, mehr Israel 2006 als Salzburg 1779; und eine Arie wie Solimans „Ich bin so bös’ als gut“ durchaus einmal in den Bombenhagel schicken. Mozart wäre dem gewachsen gewesen – im Gegensatz wohl zum Festspielpublikum, das bereits nach den ersten geräuschvoll fauchenden, wispernden, stöhnenden und knurrenden „Adama“-Teilen seinerseits unwillig zu rumoren begann und die Komponistin am Ende gar gepflegt ausbuhte.

Treibt Czernowin im ersten Akt allenfalls ein paar zaghafte Keile in die Mozart-Handlung, so ergeben sich nach der Pause doch Verdichtungen, Reibungen, ja Kollisionen zwischen dem im Graben agierenden Salzburger Mozarteum Orchester (Leitung: Ivor Bolton) und den Mitgliedern des Österreichischen Ensembles für Neue Musik. Die Musiker sind mit Johannes Kalitzke auf der Bühne postiert, sehr pittoresk hinter einer halb geborstenen Flügeltür. Ansonsten erweist sich die strikte Aufgabenteilung zwischen Alt und Neu in ihrer Statik doch als eher kontraproduktiv. Ebenso ist nicht wirklich einzusehen, dass die Sänger doppelt besetzt sind: Mojca Erdmann als sehr lyrische, flammende Zaide, Noa Frenkel als Frau, Topi Lehtipuu als vom Leid geschüttelter Gomatz, Yaron Windmüller als Mann, John Mark Ainsley als Sultan, Andreas Fischer als Vater.

Sie alle treibt Claus Guth durch eine hoch ästhetische, surreale Seelenhölle. Das letzte Wort aber hat – Mozart. „Freundin, stille deine Tränen“, das Quartett, das alte, offene, ratlose Ende. Da haben die „Adama“-Musiker längst das Feld geräumt. Übrig bleiben die Apparatschiks, die alten neuen Machthaber mit ihren Wasserköpfen. Und hinten ein paar verlassene Mikrofone und Notenpulte. Nicht gerade rosige Aussichten für die Oper der Zukunft.

Christine Lemke-Matwey

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