zum Hauptinhalt
Ein friedlicher Abend in Berlin. Doch in Antonia Michaelis Roman "Die Attentäter" ist es bald vorbei damit.

© picture alliance / dpa

Terror in Berlin: Hinsehen, bis es nicht mehr wehtut

Antonia Michaelis erzählt sehr differenziert, wie sich ein Teenager radikalisiert - bis zum bitteren Ende

Er hatte immer im Schatten gelebt. Im Dunkel. Und das Dunkel hatte geglüht, hatte eine eigene Anziehungskraft ausgeübt wie ein schwarzes Feuer. Er hatte im Schatten gelebt, doch jetzt lebten die Schatten in ihm. Er schien nicht mehr Herr über sie zu sein.“

Alain sieht seinen alten Freund Cliff, der verschwunden war und nun plötzlich wieder im Mauerpark steht – er ist ein Schatten seiner selbst. Alain und Cliff, das ist ein Paar wie Yin und Yang, die helle und die dunkle Seite. Zwei Jungs, die sich von Kindesbeinen an kennen, unterschiedlicher kaum sein könnten und beide großes künstlerisches Talent besitzen. Und da ist noch Margarete, die zwischen den beiden oszilliert, ein Trio, das von klein auf miteinander verbunden scheint.

Und doch spürt man schon auf den ersten Seiten von Antonia Michaelis’ verstörendem Roman „Die Attentäter“, dass etwas nicht stimmt, ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung schwingt mit, wenn die beiden alten Freunde sich nach so langer Zeit wiedersehen. Abwechselnd erzählt Michaelis in Rückblenden aus der Perspektive der drei Personen. So entwirrt sich das komplizierte Geflecht ihrer Beziehung, eine Spurensuche nach den Ursachen: Warum ist es so gekommen, wie es kommen musste.

Alain kommt aus einer künstlerisch-bürgerlichen Familie. Cliff hingegen lebt bei seinem alkoholkranken, gewalttätigen Vater, während die Mutter Cemre sich in der Wissenschaft verwirklicht und keine Zeit für ihren Sohn hat, der daraufhin eine Weile bei Alains Familie Unterschlupf findet. Margarete beobachtet all das und freundet sich mit den grundverschiedenen Jungs an, dem blonden Alain und dem dunkelhaarigen Cliff. Beide haben großes zeichnerisches Talent. Aber Cliff rastet immer wieder aus, wird gewalttätig, als wäre er ferngesteuert. Im Laufe der Zeit entwickelt sich Alain zu einer Art ausgleichendem Schutzengel, der stets genau weiß, was in seinem Freund vorgeht.

Ein Roman, der einen nicht kalt lässt.
Ein Roman, der einen nicht kalt lässt.

© Abbildung: Oetinger Verlag

Dazwischen werden immer wieder die Appelle von Margarete eingeblendet, die abwechselnd zu Alain und Cliff spricht. Sie ahnt, dass Cliff etwas im Schilde führt nach seiner Rückkehr im Jahr 2016. Aber bevor es dazu kommt, schildert die Autorin aus wechselnden Perspektiven Cliffs Entwicklung: wie er in einer rechten Kameradschaft landet, Jagd auf Ausländer macht, dann wieder das Interesse verliert und zum Islam konvertiert. Später verliebt sich Margarete in die beiden Jungs, und auch Alain und Cliff fühlen sich zueinander hingezogen – komplizierter kann solch eine Dreierkonstellation kaum sein.

„Wir müssen hinsehen, um etwas zu begreifen, so lange hinsehen, bis es nicht mehr wehtut, bis uns das, was wir sehen, nicht mehr lähmt. Bis wir handeln können“, schreibt Antonia Michaelis. Ihr Roman ist eine spontane Antwort auf die mörderischen Anschläge von Paris im November 2015. „Alles beginnt irgendwo. Auch der Extremismus“, schreibt sie und macht sich in ihrem komplexen, hoch spannenden Roman auf Spurensuche.

Michaelis schont ihre Leser nicht. Was Cliff beim „Islamischen Staat“ erlebt und mitmacht, übersteigt jede Fantasie – und dann sind da Alain und Margarete, die Cliff von seinem Vorhaben, dem Bluttag in Berlin, abbringen wollen. Michaelis wirft einen realistischen, verstörenden Blick in die Abgründe des Terrorismus – ein Roman, der Diskussionsstoff bietet und wachrüttelt.

Antonia Michaelis: Die Attentäter. Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 2016. 432 Seiten. 448 Seiten. 19,99 Euro. Ab 16 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

Zur Startseite