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Kultur: Testosteron war gestern

Mädels ans Mikro: In Berlin startet „We B*Girlz“ – Europas größtes Hip-Hop-Festival der Frauen

„Ich hatte keine weiblichen Vorbilder“, sagt Pyranja. „Es gab keine Frau, die ich bewundern konnte. Keine, von der ich dachte, ich will auf der Bühne so sein wie sie.“ Trotzdem hat sich die 29-Jährige, die in Rostock aufwuchs und jetzt in Berlin lebt, durchgebissen und zählt heute zu den bekanntesten deutschen Rapperinnen. Sie hat drei Alben veröffentlicht, ein eigenes Plattenlabel und eine eigene HipHop-Sendung auf Radio Fritz. Sie nahm am Bundesvision Songcontest teil und hat in Filmen mitgespielt.

Inzwischen ist Anja Käckenmeister, alias Pyranja, selbst ein Vorbild. Eine, zu der Nachwuchsrapperinnen aufschauen und von der sie etwas lernen können. Denn Pyranja gibt ihr Wissen gerne weiter. So leitet sie ab Montag auf dem Festival „We B*Girlz“ einen viertägigen MC-Workshop, bei dem getextet, gerappt und aufgenommen wird. Die dynamische Musikerin mit dem hellblonden Zopf betont immer wieder, wie wichtig es ihr ist, das Selbstbewusstsein der Mädchen zu stärken. „Sie sollen nicht daran denken, was die anderen denken, sondern einfach ihr Ding machen. Und wenn sie verschüchtert sind, sage ich ihnen: Zeigt es nicht!“, erklärt sie bei einer kleinen Vorabveranstaltung des Festivals im Hip-Hop-Stützpunkt Prenzlauer Berg.

Die 24-jährige Sookee, Slam-Poetin und MC, sieht es genauso: „Die Mädels brauchen eine Art Schutzraum, in dem sie frei von Klischees agieren können, um dann mit Power rausgehen zu können.“ Eine sehr alte feministische Idee hat hier also ein kleines Revival. Wenn Sookee und Pyranja nun am 9. August (Alte Feuerwache Kreuzberg, 18 Uhr) zur „We B*Girlz“-Diskussionsrunde mit Alice Schwarzer zusammentreffen, können sie sich vielleicht noch weitere Anregungen aus dem Feminismus holen.

Mut und Ermutigung können Mädchen und Frauen, die MC oder DJ werden wollen, gut gebrauchen. Denn das Genre ist immer noch total testosterongesteuert. Seit dem Aufstieg der US-Gangsta-Rapper Anfang der neunziger Jahre wird es geprägt von Männern, die sich sowohl in ihren Reimen als auch in ihrer Erscheinung so hart und cool wie möglich inszenieren. Frauen spielen in diesem von Prahlerei nur so strotzenden ZeichenUniversum lediglich als halbnackte Statussymbole oder Zielscheibe von „Bitch“Beschimpfungen eine Rolle. Der Sexismus der Texte und Videos ist ungebrochen. Auch in Berlin dominieren mit Bushido, Sido, Fler, Bass Sultan Hengzst vor allem Machotypen und selbsternannte Gangster die Szene.

Weibliche Stars wie Missy Elliott, Lauryn Hill und Queen Latifah sind nach wie vor Ausnahmen. In Deutschland kamen außer Sabrina Setlur, Nina MC und Cora E keine Frauen im Mainstream an – und auch diese drei sind wieder von der Bildfläche verschwunden. Nichtsdestoweniger hat sich inzwischen eine vielfältige Female-Hip-Hop-Kultur entwickelt. Junge Frauen, die sich B-Girls (analog zu den B-Boys) nennen, greifen zum Mikro, zur Spraydose, legen Platten auf und verrenken sich beim Breakdance. Wie facettenreich diese Szene ist, zeigt bis Ende August das „We B*Girlz“-Festival. Es ist laut Organisatorin Nika Kramer das größte Frauen-Hip-Hop-Festival Europas und wartet mit einem überwältigenden Programm auf. Neben einer Fülle von Workshops zu Themen wie Rap, Graffiti, Beatbox, Breakdance, BMX oder DJ-ing wird es Diskussionen, eine Filmreihe, eine Ausstellung, ein Dancefestival, eine Radiosendung, ein Magazin und ein großes Abschlusspanel inklusive Konzert geben.

Vetreten sind auch große Namen: die Heidelberger Hip-Hop-Pionierin Cora E etwa und Roxanne Shanté aus New York, die 1984 mit dem Song „Roxanne’s Revenge“ berühmt wurde – einer Replik auf U.T.F.O.’s Hit „Roxanne, Roxanne“. Shanté war damals erst 14 Jahre alt und entwickelte sich anschließend zu einem der bekanntesten Female-MCs der Achtziger. Mit 25 zog sie sich aus dem Musikgeschäft zurück und tritt heute nur noch gelegentlich auf.

Newcomerinnen sind hingegen Calyz, Sinaya und Duygu DA.i, die seit einem Jahr zusammen die MC-Crew Too Funk Sistaz bilden. Die drei Berlinerinnen rappen auf Spanisch, Deutsch und Türkisch – und das richtig gut. Ihr Song „Schade“, der auf einem trockenen Backbeat und einer rollende Bassline aufbaut, ist ein Tritt in den Hintern zögerlicher Kolleginnen: „Ihr gebt euch mit zu wenig zufrieden / Ihr seid so underground, dass ihr euch selbst nicht raustraut / Übern Tellerrand schaut, Vorurteile schafft statt abbaut – schade, schade.“

Richtig böse können Too Funk Sistaz auch werden. In „Ghettostyle“ dissen sie die Bremer Pornorapperin Lady „Bitch“ Ray, die es mit ihren Sprüchen über „juckende Mösen“ und Songs wie „Deutsche Schwänze“ in Talkshows, Tageszeitungen und ins Kino („Chiko“) schaffte. Sie ist Deutschtürkin und studierte Linguistik, was die Sistaz allerdings wenig beindruckt: „Du Babyschlampe weißt nicht was du machst/ Sprichst von Frauen stärken und machst dich zum Sexobjekt/ Sex sells forever – leider gilt das auch für HipHop.“ Genügend Stoff für die Podiumsdiskussionen des Festivals ist also vorhanden. Und kurzweilig dürften sie auch werden, denn B-Girls wissen, wie man Sprache effektvoll einsetzt.

We B*Girlz-Festival, bis 30. August, Workshops ab 4. 8., Filmreihe im Eiszeit-Kino ab 7. 8., Konzert im Cassiopeia, Revaler Str. 99, 29. 8., 22 Uhr, Dance-Festival, Universall Hall, Gotzkowskystr. 22, 30. 8., 15 Uhr. Info:www.b-girlz-berlin.com

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