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Kultur: "Teufelsbrück": Auch Abfallkörbe dürfen lächeln: Brigitte Kronauers Dreiecksgeschichte

In diesem Märchen aus der neuesten Zeit zwitschern Menschen, sprechen Vögel und trennt die Elbe zwei Welten, dazu eine Frau und einen Mann. Von Grenzüberschreitungen erzählt Brigitte Kronauer auch in ihrem neuen Roman.

In diesem Märchen aus der neuesten Zeit zwitschern Menschen, sprechen Vögel und trennt die Elbe zwei Welten, dazu eine Frau und einen Mann. Von Grenzüberschreitungen erzählt Brigitte Kronauer auch in ihrem neuen Roman. Er heißt "Teufelsbrück" nicht etwa nach einer Brücke, sondern nach der Anlegestelle der Elbfähre, mit der die Frau zum geliebten Mann übersetzt. Schon im Titel jongliert Brigitte Kronauer, diese literarische Extremsportlerin, leichthändig mit Bedeutungen und Topographien.

"Teufelsbrück" beginnt mit einem alltäglichen Ereignis auf dem nördlichen Elbufer. Maria Fraulob stößt im Elbe-Einkaufs-Zentrum mit einem aufregend kriminell aussehenden Mann zusammen und möchte sich auf dem Fußboden gar nicht wieder lösen aus seiner versehentlichen Umarmung. Leider ist Leo Ribbat in Begleitung seiner Geliebten, einer großen Frau mit dunkelrotem Fischmaul, Froschaugen und auffälligen Schuhen. Vor Zara verleugnet Maria ihr Interesse an dem Mann und ist fortan in einem Dreieck gefangen. Glückliche Liebesgeschichten beginnen natürlich anders.

Mehrmals besteigt Maria in Teufelsbrück die Elbfähre in das Alte Land und besucht Zara in der Hoffnung, Leo zu sehen. Doch die rätselhafte, maskenhaft geschminkte Frau ist meist allein und unterhält Maria mit Altarbildern, Dias kopulierender Tiere, der Statue einer Chinesin mit einem obszön abgespreizten Bein und romantischen Zitaten (unter anderem aus E.T.A. Hoffmanns "Goldenem Topf" und Clemens Brentanos "Der Spinnerin Nachtlied"). Zara antwortet auf Marias Sehnsucht nach Leo mit Bildern des Begehrens und der Sehnsucht.

Mit Hilfe solcher "Wappenzeichen koitaler Erwartung" kategorisiert Zara das Unübersichtliche und Ungebändigte. Maria Fraulob will jedoch nicht mit Hilfe der Vernunft rubrizieren. Sie ist ins Einzelne, Unverwechselbare vernarrt, das ihr belebt erscheint. Mit Hilfe emphatischer Liebe will sie sich aus dem "Grauen der gewöhnlichen Nüchternheit" aufschwingen in die Unendlichkeit. Dazu dient ihr Leo, der für einige Wochen ihr Geliebter wird. Auf ein unverwechselbares kleines Merkmal an dem Mann, der ein so schöner wie geistloser Gesell ist, strömt alle Kraft Marias hin, um dahinter, wie durch den Hals einer Sanduhr hindurch, einer gewaltigen Energie, einem Anderen zu begegnen.

Wunderbarer Alltag

Doch Maria wird den Verdacht nicht los, dass ihre Affäre mit Leo von der anfangs eifersüchtigen Zara arrangiert wurde. Die Wiedergängerin des zaubernden Archivarius Lindhorst aus dem "Goldenen Topf" scheint die Kontrolle über ihr Leben erlangt zu haben. "Teufelsbrück" erzählt vom Duell zwischen Maria und Zara, zwischen der romantisch nach Selbststeigerung strebenden und der durch die Vernunft dominierten Wahrnehmung.

Um die Hauptpersonen herum hat Kronauer ein schmales Personal angeordnet, das die zentrale Trias zu neuen Dreiecken des Begehrens erweitert: Zara erwählt sich zu Leos Leidwesen einen neuen Liebhaber, Leo wird von einer weiteren Verehrerin namens Sophie mit ihren vor lauter Liebe "besoffenen Satzmolchen" angehimmelt, und der predigende Kulturpessimist Specht stellt glücklos Maria nach. In diesem kleinen, aus Dreiecken festgezurrten Kristall lässt Brigitte Kronauer ihr erzählerisches Weberschiffchen beständig und mühelos hin und hersausen: vom Alltäglichen zum Wunderbaren, von der Anekdote zum Kunstwerk, vom Detail zur Totalen, vom Ereignis zur Reflexion, von außen nach innen - und nicht zuletzt vom Erhabenen zum Komischen: "Ich lächelte vor Schwäche einen Abfallkorb an."

Die in Stauungen und Raffungen abwechslungsreich rhythmisierte Mannigfaltigkeit bändigt Kronauer wie in ihren früheren Romanen "Der berittene Bogenschütze", "Rita Münster" oder "Das Taschentuch" durch eine aufwändige, aber unauffällige Konstruktion. Sie baut auf der allgegenwärtigen "drei" als zentralem Baustein auf: Maria erzählt von der Bekanntschaft mit Leo und Zara an neun Abenden. Jeweils drei dieser Vigilien, wie E.T.A. Hoffmann sie genannt hätte, werden zu einem Abschnitten zusammengefaßt: "EEZ" (das Elbe-Einkaufszentrum), "Holunderbaum" (der Strauch, in dem in E.T.A. Hoffmanns "Goldenem Topf" der Student Anselmus seine Serpentina erblickt) und "Schnee".

Vogellaute und andere Worte

In drei Dreischritten schwingt sich Maria aus dem Alltag in das Glück und dann in die leere, weiße Ödnis auf. Wie in der Romantik führt also die Poetisierung des Alltags zur zunehmenden Entkonkretisierung. Aus der "menschenfressenden" Öde des Schnees kehrt Maria freilich zurück. In größter Verlassenheit und Todesnähe belebt diese Landschaft sich plötzlich pantheistisch, und nun vermag Maria die kurze, tragisch endende Liebesgeschichte mit Leo zu erzählen. Die Poesie muß das Äußerste wagen, um auf neue Weise sprechen zu können und nicht wie Zara überkommenen Bildern verhaftet zu bleiben.

Nun wäre es enttäuschend, wenn Brigitte Kronauer diese wohlfeile, derzeit aus allen Canyons, von allen Berggipfeln und Bungee-Plattformen widerhallende Rhetorik der Überwindung und Neuschöpfung nicht mit einem Widerlager versehen hätte: Maria, die anfangs ein Selbstgespräch zu führen schien, erzählt den Roman an allen neun Abenden - Zara. Ihr Schweigen steht Marias Geschichte wortlos entgegen; die Zara wird ein Teil der Erzählung, bleibt aber unhintergehbar fremd und bedrohlich. Maria ist nur solange vor Zara und ihrer Version der Ereignisse geschützt, wie sie erzählt.

Sogar für das, was jenseits der Erzählung wartet, findet Brigitte Kronauer noch Worte, Märchenfragmente, Vogellaute. Seitenweise möchte man aus diesem Buch zitieren, vom "nationalen Sonnenuntergang" schwärmen, vom "Scheuermilchlachen" einer braven Ehefrau, dem "Topfdeckelsatz", unter dem sich die Begeisterung zur ewigen Ruhe zu legen droht, oder von der monumentalen Eieruhr, in der Einzeldinge durch die enge Mitte nach unten fallen. Als sie alle unten lagen, hätte die Uhr auf den Kopf gestellt werden müssen, und weil das niemand tat, begann Maria, die Einzeldinge, die sich zurück sehnten, Stück für Stück durch die Verengung hindurch wieder nach oben zu schleppen. Brigitte Kronauers Erzählen ist solch ein "Gedankentransport", der noch das geringste Ding aufhebt - und damit für Augenblicke auch die Zeit.

Jörg Plath

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