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Kultur: Texte müssen Bomben sein

"Fragen Sie mich jetzt bloß nicht nach Berlin!" Der zerzauste, graue Oberlippenbart wird unruhig.

"Fragen Sie mich jetzt bloß nicht nach Berlin!" Der zerzauste, graue Oberlippenbart wird unruhig.Irgend etwas ist plötzlich aufgeweckt worden.Wolfgang Engel lehnt sich zurück, verschränkt seine Arme und fährt mit der rechten Hand durch das wilde Gestrüpp, das entfernt an eine ramponierte Drahtbürste erinnert.Doch vergeblich.Der Bart gehorcht nicht.Und er soll es wohl auch nicht.Denn würde er sich fügen, würde Engel einen Bart wie Stalin tragen.

Wolfgang Engel ist ein zurückhaltender, sanfter Mann, dem jegliche Erregung fremd ist.Die weichen und gemütlichen Gesichtszüge verbergen einen leicht ironischen Zug.Bei ihm ist die protestantische Strenge des Nordens nicht ins Lehrerhafte ausgeschlagen, aber man spürt sie.Seine Sätze klingen wie Angebote, die man nicht ausschlagen kann.Er setzt voraus, daß man verstehen will.Er probt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Christopher Marlowes "Edward II.", ein rüdes und verworrenes Königsdrama.Die erste Inszenierung des renommierten Regisseurs und jetzigen Leipziger Intendanten an dem Haus, in dem sich just, da er als Gast zugegen ist, eine Intendanten-Debatte entzündet hat.Seitdem Thomas Langhoff genötigt wird, zu gehen, stellt sich die Frage: Wer kann seinen Platz einnehmen? Ein Königsdrama auch das.

Mit Königsmorden, politischen Intrigen und Regimestürzen kennt Engel sich aus.Als die Theaterleute in Dresden im Herbst 1989 eine Protestdemonstration gegen die SED organisierten, marschierte er in der ersten Reihe und hielt bei stürmischem Wetter das Transparent und seinen Hut fest.Seine Wohnung war verwanzt, weil die Stasi ihm "eine negative Einstellung zur DDR" bescheinigte.Nicht ganz zu Unrecht.Denn mit Vorliebe brachte er Staatstragödien auf die Bühne und funktionierte sie zum politischen Kommentar um."Der ewige Kampf zwischen Pflicht und Neigung", erklärt er, "der allen diesen Stücken als großes Thema immanent ist, hat mich immer interessiert.Der Mensch wird verdorben und nimmt in der Gesellschaft Schaden.Aber er versucht sein Menschsein zu retten." Die Unvereinbarkeit von Gesetz und Gefühl - der deutscheste aller deutschen Konflikte - spielte in der DDR eine besonders brisante Rolle.Obwohl Engel nicht darunter litt, daß der sozialistische Alltag die Utopien nicht einlöste, entwickelte er doch ein Interesse für die historischen Kontinuitäten, die den Idealen im Wege standen.

Dresden war ein Glücksfall.Engel, der 1943 in Schwerin geboren wurde und seine Heimat nach einer Schauspielausbildung als dreißigjähriger Regisseur verließ, arbeitete in Dresden zehn Jahre als Spielleiter unter dem Intendanten Gerhard Wolfram."Der Fuchs", wie Engel ihn nennt, ließ seinen Leuten weitgehend freie Hand und schirmte umstrittene Inszenierungen nach oben ab."Für das ZK war Dresden Sibirien, bedeutete Verbannung.Für uns war das die Chance.Meine Freiheit habe ich nicht erst mit der Maueröffnung erobert, sondern als ich begriff, daß wir am Theater absolut unschlagbar sind.Mich interessiert nicht mehr, wie virtuos jemand ein Repertoire herunterspielen kann, sondern ob der Schauspieler eine Botschaft versenden möchte."

Es gab für ihn keinen Grund, das Ende der SED-Diktatur zu bedauern.Doch Engel verlor sein Bezugssystem."Wir haben damals jeden Text gegen die Mauer geschmissen.Er mußte stark gepanzert sein, damit er das aushielt." Obwohl er glaubte, daß er die Sinnkrise auf seinem handwerklichen Niveau eine ganze Reihe von Jahren würde überspielen können, war ihm dennoch bewußt, daß ihm der "Biß" abhanden kam.Plötzlich hätte er Texte allenfalls noch auf ein abgerodetes Feld werfen können.Das wäre unsinnig gewesen, aber den Anspruch, daß das Theater etwas bewirken muß, konnte Engel nicht zurücknehmen.So hatte er, als er 1991 zu Peter Eschberg in die Börsenstadt Frankfurt wechselte, einen schweren Stand.Die pointierten Zuspitzungen wurden vom Westpublikum nicht mehr verstanden oder als zu vordergründig abgelehnt."Es gibt Erfahrungen, die mich lähmen und hilflos machen.So konnte ich nicht damit umgehen, daß ich in Frankfurt über einen halbtoten Junkie hinwegsteigen mußte, um zu einer Matinee ins Theater zu gelangen.Solche Situationen lassen mich denken, Theater sei das Überflüssigste auf der Welt", sagt Engel.

Ein Gemütsmensch.Er kann sich nicht abfinden mit der zynischen Spaßgesellschaft, die Theater als Unterhaltungsmaschine versteht.Seine Vorliebe für die brutalen Machtspiele des elisabethanischen Theaters ist ihm erhalten geblieben.Aus Stücken wie "Titus Andronicus" oder "Richard III." von Shakespeare versucht er das Entsetzen hervorzukitzeln, um sich von seiner schattenhaften Dämonie zu befreien.Mit Marlowes "Edward II.", das die verhängnisvolle Liebe des Königs zu einem anderen Mann beschreibt und seine für ihn selbst und das Land fatalen Folgen, setzt er die Reihe der Greuelmärchen fort."Ein einziger fünfter Akt", meint Engel."Ein Karfreitag ohne Hoffnung auf Ostersonntag."

Neben DT-Schauspielern probt Engel überwiegend mit Studenten der Hochschule "Ernst Busch".Eine Konstellation, die ihm entgegenkommt, denn Engel gilt als Ensemble-Regisseur, der seine Erfahrung gerne an den Nachwuchs weitergibt, aber zugleich von den unverbrauchten Ansichten junger Kollegen profitieren will.So vertraut er in Leipzig, wo er 1995 mit dem Stadttheater ein angeschlagenes, schwierig zu steuerndes "Schlachtschiff" übernahm, vor allem auf junge Regisseure.Ihre Stile sind zum Teil so verschieden, daß im Haus rege Kunst-Debatten entbrannt sind.Leipzig ist trotzdem eine undankbare Herausforderung.Den Zuschauerrückgang hat er zwar auffangen können, aber noch immer laboriert das ehemalige "ZK-Theater" an den Folgen eines jahrzehntelangen Kadergehorsams."Ich habe von dem alten Wolfram gelernt, daß ein Stadttheater nur funktioniert, wenn man als Intendant in der Lage ist, mit dieser geradezu mittelalterlichen Machtfülle umzugehen und die Verantwortung so weiterzugeben, daß sie unten bei denen, die das Theater machen, ankommt." In seinen Mitteln ein Konservativer, teilt er mit den progressiven Form-Desperados doch den Glauben an die Bedeutung des Stadttheaters als Kommunikations-Oase - für diese Vision nimmt Engel beträchtliche Opfer in Kauf.Die Stadt Leipzig hat ihm eine Vertragsverlängerung bis zum Jahr 2005 angeboten.Lange genug, um das verlorene Publikum zurückzugewinnen.

Ob es für ihn reizvoll sein könnte, Leipzig zu entrinnen und an ein größeres Haus zu kommen? "Größeres Haus? Fragen Sie mich jetzt nicht nach Berlin." Ich weiß, es ist eine dumme ..."Ach was, Sie können mich auch danach fragen.Es ist ein Gerücht." Und plötzlich sieht er aus wie Groucho Marx.

"Edward II." von Christopher Marlowe, Kammerspiele des Deutschen Theaters, Generalprobe 10.2., Premiere 11.2., jeweils um 19.30 Uhr

KAI MÜLLER

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