zum Hauptinhalt
Der Dreh und der Wurm. Olaf Altmanns raffinierte „Tartuffe“-Bühne – mit Lars Eidinger in der Titelrolle (Mitte) und Regine Zimmermann (rechts). Foto: Carstensen/dpa

© dpa

Thalheimer-Inszenierung an der Berliner Schaubühne: Die Achse des Blöden

Aufbruchstimmung an der Schaubühne: Michael Thalheimer inszeniert Molières „Tartuffe“ - vor einem genialen Bühnenbild.

Das ist ein umwerfendes Bühnenbild. Ein flacher quadratischer Raum von verwitterter Goldfarbe. Und drumherum alles dunkel. An der Rückwand hängt ein Kruzifix, darunter steht ein billig aussehender Wohnzimmersessel. Wohnen kann man hier nicht. Hier muss man Theater spielen. Oder Oper singen.

Diesen Kasten hat Olaf Altmann gebaut. Klare Linien, strenge Symmetrie – etwas Sakrales strahlt das Gehäuse aus. Ein Schrein-Design. Altmanns Bühnenbilder sind das offene Geheimnis einer jeden Inszenierung von Michael Thalheimer. Auf welche perfide Art und Weise sind die Bewegungsabläufe und Auftrittswege der Schauspieler diesmal durch die Architektur determiniert?

Sie kommen links und rechts heraus, Flachmänner und Flachfrauen, quetschen sich durch, wo keine Tür ist, kein Fenster. Nur ein enger Spalt. Erst später offenbart aber sich der albtraumhafte Riesenmechanismus dieser Bühne. Es handelt sich um eine vertikale Drehbühne. Der Sessel ist festgeschraubt, aber die Akteure rutschen ab, vom Boden bis an die Decke, suchen Halt auf leeren Wänden, bilden Knäuel, wenn der Raum zu kreisen beginnt. Eine Allzweckkonstruktion, eine Zentrifuge für Theatertexte. Michael Thalheimer stellt Molières „Tartuffe“ von den Füßen auf den Kopf.

Vom Deutschen Theater ist er an die Schaubühne gewechselt, und mit ihm Regine Zimmermann, Ingo Hülsmann und Nina Hoss, die beim „Tartuffe“ noch nicht dabei war. Die Schaubühne verschiebt die Kräfte in Berlins Theaterlandschaft. Doch die Thalheimer-Premiere führte erst einmal auf Volksbühnengelände.

Die „Tartuffe“-Truppe der Schaubühne sieht aus wie von Fritsch trainiert - spielt aber lange nicht so unwiderstehlich lässig

Dort lieben sie das Französische ja besonders, egal ob René Pollesch, Martin Wuttke oder Frank Castorf Regie führt. Und die Komödienwelle hat Herbert Fritsch ausgelöst, das ist sein Metier. Von der spanischen Murmelfliege wurde jetzt auch Thalheimer gestochen. Die schrillen Grimassen, die schief-hektische Haltung, der aufgezogene Ton: Die „Tartuffe“-Truppe der Schaubühne sieht aus wie von Fritsch trainiert. Spielt aber lange nicht so unwiderstehlich lässig. Bleibt doch ein Thalheimer-Abend. Schwerblütig, streng. Zombies ohne zweites Leben.

Lars Eidinger ist in der Titelrolle erst einmal gar nicht richtig zu erkennen. Sein Oberkörper ist tätowiert, seine Perücke dünn und struppig, er presst einen knallharten katholischen Büßer- und Weltuntergangstext heraus. Wie ein Heavy-Metal-Frontmann. Eidingers bigottem Betrüger steht der fundamentalistische Schwachsinn auf den Körper und ins Gesicht geschrieben. Er macht gern die Jesus-Pose mit ausgebreiteten Armen. Komisch ist das nicht. Auch nicht sehr bedrohlich. So ein Tartuffe verdient Mitleid. Dem will man eine warme Suppe spenden. Der könnte mit einer Obdachlosenzeitung herumlaufen und lamentieren in der Berliner U-Bahn.

Von etwas anderem Temperament ist Ingo Hülsmann, der irre Monsieur Orgon, der verblendete Tartuffe-Verehrer. Dem kann man alles zutrauen – dass er seine Tochter opfert, seine Frau verrät, Haus und Vermögen dem Schweinepriester Tartuffe überschreibt.

Thalheimer spielt die pointierte, gereimte Textfassung von Wolfgang Wiens. Ob Tartuffes Scharlatanerie und Religionsmissbrauch irgendetwas mit dem Hier und Heute zu tun haben, das wird nicht klar. Muss auch nicht – wenn es denn als Spiel der Typen und Situationen funktioniert. Aber das ist es in zäher werdenden ein dreiviertel Stunden dann auch nicht. Judith Engel hat einen famosen Auftritt als Warnerin und Mahnerin. Dorine, das Hausmädchen, durchschaut die Tartuffisierung. Sie spricht wie ein Automat, wie aufgezogen, denn niemand hört auf sie. Sie hat den Komödienton, das Timing. Ebenso Kay Bartholomäus Schulze als Cléante, Orgons genervter Schwager. Man freut sich, wenn er loslegt. Endlich nimmt die Geschichte Fahrt auf. Bloß wohin?

Das Finale ist seltsam undramatisch

Orgons Welt rotiert um sich selbst, die Familie gleitet ins vermeidbare Verderben. Sehr langsam. Sehr kunstvoll. Selbst wenn Luise Wolfram (als Orgons Tochter Marian) und ihr Verlobter Valère (Tilman Strauß) und obendrauf der Herr Gerichtsvollzieher (Urs Jucker) commedia-dell- artig albern: Die ganze Nummer klemmt. Alle sind wie Orgon. Verstockt und blind.

Seltsam undramatisch – und nach all den vergebenen Chancen durchaus konsequent – läuft das Finale ab, die Entdeckung des Tartuffe-Charakters. Regine Zimmermann spielt die Elmire, die Herrin des Hauses, ein bisschen so, als habe sie genug von ihrem Mann und wäre nicht abgeneigt, mit einem anderen Monsieur etwas anzufangen. Aber nicht mit diesem schmuddeligen Tartuffe. Vielleicht ist ihr auch alles egal. Denn diese quadratische Welt wird sich weiter um die eigene Achse des Blöden drehen; ein Gefängnis.

Molières Schluss schenkt sich Thalheimer. Tartuffe wird nicht festgenommen. Der Heuchler kann weitermachen. Jetzt aber gar nichts mehr mit Komödie – am Ende sieht es hier aus wie bei Schiller in der moralischen Anstalt. Lustige Sachen sind Thalheimers Sache nicht, denkt man nur an die „Fledermaus“ damals im Deutschen Theater. Aber dass ein Handy im Zuschauerraum die Schlussminuten penetrant zuklingelt, das hat der schlimmste Schuft und Schwerenöter nicht verdient.

Wieder am 25. und 27. Dezember sowie am 9. und 10. Januar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false