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Kultur: The American Gray of Life

Nachdem Richard Artschwager vor allem in den achtziger Jahren mit seinen resopalbeklebten Möbelobjekten das stilistische Vorbild für die postmoderne Uneigentlichkeit abgegeben hatte, erinnern die zehn in den letzten Jahren gemalten "Portraits" (Preise zwischen 25 und 45 000 Dollar) an die Anfänge des 1924 in Washington geborenen Künstlers. Artschwager gehörte in den sechziger Jahren zur linken, das heißt kritischen Seite der Pop Art.

Nachdem Richard Artschwager vor allem in den achtziger Jahren mit seinen resopalbeklebten Möbelobjekten das stilistische Vorbild für die postmoderne Uneigentlichkeit abgegeben hatte, erinnern die zehn in den letzten Jahren gemalten "Portraits" (Preise zwischen 25 und 45 000 Dollar) an die Anfänge des 1924 in Washington geborenen Künstlers. Artschwager gehörte in den sechziger Jahren zur linken, das heißt kritischen Seite der Pop Art. Schon damals entstanden jene Möbelskulpturen aus billigen Faserplatten, die in ihren Oberflächen aus Holzimitat den Las-Vegas-Effekt der Postmoderne vorweggenommen hatten: die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, zwischen schäbigem Kern und auf edel gefälschter Oberfläche.

Das Leben ohne solide innere Werte war für Artschwager Inbegriff des American Way of Life. Auch malerisch greift er seit den Sechzigern auf "arme" Materialien zurück. Bei "Celotex" handelt sich um grob strukturierte Dämm- und Verblendplatten, die im Innenausbau zum Einsatz kommen. Artschwager nutzt die verschiedenen Konfektionierungen dieser Platten (von van Goghschen Wirbeln bis zu Kratzschraffuren), um mit dem Pinsel seine aus Zeitungen übernommenen Motive zu malen: Landschaften, Interieurs, Stadtansichten und Porträts.

Doch anders als die fröhliche Adaption der Oberflächen im anything goes der Postmoderne tendieren die Ansichten auf Artschwagers Bildern eher ins Düstere, und das nicht nur wegen der ausschließlichen Verwendung des Grisaille. Die Figuren werden durch die plastische Oberfläche des Bildträgers in eine unbestimmte Zone versetzt, von der man nicht sagen kann, ob sie sich in der Tiefe des Bildraums oder auf der Oberfläche des Materials befindet. Diese seltsam-schillernde Bilokation von Ferne und Nähe, Walter Benjamin hat sie mit dem Begriff der Aura umschrieben, gibt den 15-Minuten-Berühmtheiten der US-Medienwelt eine geradezu archaisch anmutende Entrücktheit. Die Wahlhelferin mit dem leuchtend weißen Stimmzettel für die letzte US-Präsidentenwahl in der erhobenen Hand erinnert an eine pompejische Wandmalerei, die erst nach Jahrtausenden wieder ans Licht kam. Weiß man zudem, dass sich in den Physiognomien zuweilen rechtsradikale Esoteriker oder der Oklahoma-Attentäter verbergen, wird man diese Bilder erst recht als düsteres Menetekel auf Amerikas Zukunft lesen. Tatsächlich scheint es, als ob man mittels der Bilder aus weiter Zukunft auf eine Gegenwart blickt, der der "big bang" einer fürchterlichen Katastrophe erst noch bevorsteht, ungefähr so wie wir heute jene illusionären Szenen aus dem prosperierenden Pompeji vor dem Ausbruch des Vesuv sehen. Dann erscheint selbst das aus einer Schuhreklame bezogene zähnefletschende Lachen wie von einer plötzlich hereinbrechenden Versteinerung getroffen, die "Natural Selection" von Soldaten in ihren Tarnanzügen nimmt sich als Gruppe von Todgeweihten aus. In Anbetracht der aktuellen weltpolitischen Lage scheint Artschwagers traurig-kritische Vision plötzlich nicht mehr ganz abwegig, hatte er doch schon 1972 in der gleichen Manier den Zusammenbruch eines Hochhauses gemalt.

Ronald Berg

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