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Kultur: The Blow Must Go On

Videotheater: DV8 im Haus der Berliner Festspiele

Von Sandra Luzina

Sex, Lügen, Video: Es ist der Soderbergh’sche Dreisatz, zu dem Lloyd Newson und sein „DV8 Physical Theatre“ diesmal Zuflucht nehmen. Da gibt es garantiert etwas zu enthüllen, eine unschöne Wahrheit zu entschleiern. In der Produktion „Just for Show“, die beim Berliner Festival „spielzeiteuropa“ zu sehen ist, steht dem untreuen Mann in roten Buchstaben auf dem Bauch geschrieben: Betrüger! Da seufzen die Sex-Szenen: Alles Illusion! Und die Videos in Technicolor schreien es heraus: Bilder lügen!

DV8 steht für Dance Video 8. Im Namen steckt aber auch das Verb „deviate“ – abweichen. Das Stück, mit dem die Gruppe 1986 die Londoner Szene betrat, war gleich ein Schock: In „My Sex, Our Dance“ sah man Lloyd Newson und Nigel Charnock ihre heftigen Liebeskämpfe bis zur physischen Erschöpfung ausfechten. Das literarisch dominierte britische Theater hatte ein neues Genre bekommen: das Physical Theatre. Es beruhte auf der Prämisse: der Körper lügt nicht. In „Just for Show“ wirft Lloyd Newson die Illusionsmaschine an. Die Tänzer tauchen in 3D-Videoprojektionen ein, durchstreifen imaginäre Lustgärtchen oder beamen sich aus der engen Familienaufstellung heraus. Die Grenzen zwischen dem Realen und Imaginären sollen hier verschwimmen, doch es bleibt nur die unverstellte Seichtigkeit des Scheins. Der kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern: Die Frau in rotem Kleid muss den Sex erdulden und träumt sich danach in einen Rosengarten. Der Mann stellt sich den Sex nur vor – beim Cruising mit Männern. Innovativ immerhin: Den Blowjob eines Phantoms hat man noch nicht live auf der Bühne gesehen. Dazu spielt eine schwule Version des Disco-Schmacht-Klassikers „Love to love you baby!“ Die Selbsttäuschungen werden übersetzt in bloß optische Täuschungsmanöver – und schon bieten die Figuren keinerlei Angriffsfläche mehr für den sozialkritischen Furor, der DV8 einmal auszeichnete.

In der vorigen, in Berlin umjubelten Produktion „The Cost of Living“ hatte Newson die Analogie zwischen tänzerischem Wettbewerb und kapitalistischen Marktgesetzen zur bösen Farce zugespitzt. Das neue Stück belegt, dass alles zu Britpop werden muss. Showbiz ist Milieu und Metapher. „Just for Show“ behauptet die Show total – und ist so durchsichtig wie die Fummel der rotblonden Diva, die nur Posen demonstriert. Jeder ist ein mehr oder minder begnadeter Selbstdarsteller und versucht, dem anderen die Schau zu stehlen. Am ehrlichsten wirkt da noch der Illusionist, der seine Taschenspielerstricks vorführt.

Am Ende steht zwar ein rituelles Outing. Der Aufstand der Diskriminierten, und sei’s nur der Ungeliebten oder Übergewichtigen, bleibt aber aus. „Just for Show“ ist eine milde Farce, immer hübsch anzusehen. Über den „fucking job“ - wie noch in „Cost of Living“ - beschwert sich diesmal keiner.

Noch einmal am 3. 12., 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

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