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The Knife verschwinden gern in ihrem Performerkollektive

© Ian Pearce

The Knife in Berlin: Derrida in der Mehrzweckhalle

Das schwedische Elektropop-Duo The Knife verabschiedet sich mit einem verblüffenden Anti-Konzert in der Arena Berlin.

Der große Aufschrei blieb aus, als das schwedische Elektro-Duo The Knife im August erklärte, die jetzige Tour würde die letzte sein. Dabei war ihr gegen den Strich gebürsteter Elektropop, der die Steel Drum aus der Karibikecke in den Deep Techno entführte, ein unvergessliches Störsignal im Klangspektrum der nuller Jahre. Das verträumte „Pass This On“ wurde zur heimlichen Generationenhymne, die in Filmen als kollektiver Echoraum diente. Und das tribalistische, antiromantische Liebeslied „Heartbeats“ ging in der zärtelnden Akustikversion von José González nicht nur in den Mainstream ein, sondern auch in einen betörend schönen Werbespot für Fernseher.
Das ist von einiger Ironie, denn die Geschwister Olof und Karin Dreijer sprechen sich nicht nur sehr belesen gegen Konsumismus und patriarchale Hierarchien aus, sondern versuchen diese Kritik auch in ihre Platten und Konzerte einzuschreiben. Mitunter kippt das ins angestrengt Didaktische, wie beim Auftakt des Abschiedskonzerts in der Arena Treptow. Eine sehr große Tänzerin feuert in queeren „Deep Aerobic“-Übungen in der Tradition des Choreografen Miguel Gutierrez die Menge an: „Ich bin keine Frau / Ich bin kein Mann / Ich bin beides / Ich bin keins“. Dagegen demonstriert die anschließende Show auf beeindruckende Weise, wie man das Format Popkonzert unter großem Einsatz an Technik und Personal langsam von innen her auseinandernimmt: Dekonstruktion in der Mehrzweckhalle.
The Knife legten es nie darauf an, Leute übermäßig an sich zu binden. Sieben Jahre und drei Alben dauerte es, bis sie 2006 erstmals auf Tour gingen. In düsteren Bühnenshows verbargen sie ihre Persönlichkeiten hinter Vogelmasken. Sieben weitere Jahre dauerte es bis zum vierten Album „Shaking the Habitual“. Es bildete 2013 gewissermaßen das queere Gegenstück zu Kanye Wests „Yeezus“: Beide waren sperrige, vielarmige, krakenhafte Soundhybride, die aus dem Informations-Overload des digitalen Zeitalters eine abstrakte, posthumane Ästhetik generierten. Doch während West machistische Überbietungsgesten auftürmte, unterliefen The Knife jede Erwartung und scherten in rätselhafte, abstrakte Architekturen ohne Zentrum aus. Ähnlich, wenn auch viel mitreißender, funktioniert dieses verblüffende Anti-Konzert.

The Knife mischen Brecht mit Starlight Express, Oskar Schlemmer und Voguing

Das Bühnenbild mit Showtreppe in Silberfolie ruft die ganze Geschichte kulturindustriellen Entertainments auf. Oben im Dunkel der Kommandobrücke steuert Wahlberliner Olof Dreijer die Sampler und Sequenzer. Es ist aber schwer auszumachen, von wo der kalte, überartikulierte Gesang Karin Dreijers aufsteigt, der den Raum zerschneidet wie eine Fräse. Denn Dreijer verschwindet nicht nur in der Menge aus neun zusätzlichen Tänzern und Sängern in silberblauen Discoanzügen und Glitzerschminke. Es tritt auch im Lauf des Abends jede mal ans Mikro, schlägt auf die aufgebockte Holzraketen-Skulptur ein oder schlägt einfach nur in die Luft – keine Geste kommt mit sich selbst zur Deckung. So stürmt Dreijer (da ist sie!) mal zum Podest, um in Aneignung des Rockismus einen Gitarristen anzusexen, der sich in einem Gitarrensolo windet, das aber durch Effekte zur Unidentifizierbarkeit verfremdet ist. Identität ist auch gebrochen durch den charakteristischen Stimmeffekt, der Dreijer drei Oktaven tiefer legt, so dass sie sich selbst den kehligen, männlichen Duettpartner geben kann.
Die Bewegungen der Tänzer erinnern an die Inszenierung von Akkord und Arbeitsteilung in Fritz Langs „Metropolis“. Auch die grünen und lilafarbenen Scheinwerfer rucken oft nur in engen Winkeln auf und ab. Kleopatra, Starlight Express, Oskar Schlemmers Triadisches Ballett. Gerade zuckte die Bande im Voguing über die Bühne, dann ruckelt sie synchron in einer Mischung aus Sasha Waltz und Bollywood nach vorn, um sich schließlich zu Volkstänzen aufzureihen. „Ho ho ho“, erklingt der Piratengesang von „One Hit“ im Chor, und während Karin Dreijer gegen Monogamie und Kernfamilie singt, legen Frauen in rollenverkehrter „Dirty Dancing“-Manier die Männer zum Kuss nach hinten und man reiht sich zum Familienfoto auf. Schließlich sitzt man auf der Treppe im Mondlicht beisammen wie in einer Brecht-Inszenierung.
Keine dieser Referenzen ist bloß ironisch, keine wirkt abgrenzend. Anfangs fragt man sich, wozu es den ganzen Aufwand braucht: Haben es sich The Knife mal wieder extra schwer gemacht? Fehlt den entkernten Remakes der alten Stücke nicht der Wumms? Klingt es nicht, als klopfe jemand von innen an die Wände einer Blechdose und darf nicht raus?

Doch mit der Zeit fühlt man sich von einem ungewohnten Sog erfasst. Es ist wie ein Augenweiten bei Dunkelheit. Als stülpte sich die Dramaturgie von innen nach außen. Keine der Bewegungen in Klang und Raum zielt auf ein abgeschlossenes Bild. Mit den Masken wollten The Knife die Person auslöschen, nur wurden diese selbst zur Marke. Nun arbeiten sie raffinierter mit der Überzahl von Performern, die nicht auf Überwältigung hinarbeitet, sondern gegen sie. Die Linien, die die Körper ziehen, führen immer weg von möglichen Zentren. Hier findet ein Popkonzert statt und stellt zugleich mit Brecht’schem Zeigen des Zeigens fortwährend Distanz her. Es ist als würde einem operativ ein Stachel gezogen: der Stachel, der unsere Körper und unser Begehren an klare Identitäten und Verhaltensmuster bindet. Nicht dass das bei allen funktionierte: Auch bei diesem Konzert erlebt mancher aus der großen queeren Szene dieser Stadt homophobe Sprüche.
„Wir sehen keine Verpflichtung, weiterzumachen“, sagte Karin Dreijer, die auch schon seit fünf Jahren auf einen Nachfolger ihres fantastischen Solo-Projekts Fever Ray warten lässt. Dass man das Duo jetzt ohne große Wehmut aus der Verantwortung entlässt, ist widersprüchlicherweise gerade ein Zeichen dafür, dass das politische Projekt The Knife zumindest teilweise erfolgreich war: Alles war darauf angelegt, Konzepte von Star und Autor aufzubrechen. Der Weg ist aufgezeigt. Nun schafft es sich selbst ab. Passend schließt das Konzert mit den verträumten Steel Drums von „Pass This On“ – allerdings in der Techno- Version des New Yorker Elektropunk- Duos Light Asylum, dessen Sängerin Shannon Funchess zum Schlussrave aufuft: „This party is for you.“

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