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Saitenmagier. Jonny Greenwood bei einem Radiohead-Konzert in Kalifornien, 2012.

© AFP

The Master: Der Querschläger

Jonny Greenwood ist Gitarrist von Radiohead und schreibt Filmmusiken, zuletzt für das Paul Thomas Andersons Sektenpsychodrama „The Master“. Eine Hommage.

Das Notenblatt muss aussehen wie ein Labyrinth der Hölle: Am Anfang steht ein dissonantes Muster, Töne, die auf- und abschwellen wie ein Martinshorn, bis sie unisono enden – wie ein Bienenschwarm kurz vor dem Angriff. Die Streicher lassen kein zuckriges Tremolo zu, sondern fegen messerscharf und glatt über die Saiten. Auf der Leinwand sieht man ein steiniges Loch im Boden, auf dessen Grund der verdreckte, bärtige Daniel Day-Lewis der widerspenstigen Erde seinen amerikanischen Traum abzutrotzen versucht.

Der Anfang von Paul Thomas Andersons „There will be Blood“ von 2007 haut einen vom Hocker, wie später der ganze Film: Die Geschichte eines sturköpfigen Ölsuchers Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Geschichte des Landes, die Geschichte von Kapitalismus, Hoffnung und Scheitern. Die Musik dazu illustriert nicht, verstärkt keine Emotionen oder spachtelt Humor auf die Tonspur, sondern entfaltet eine eigenwillige Parallelgeschichte. Sie stammt auch nicht von einem erfahrenen Filmmusiker, sondern vom Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood. Nun hat er es wieder getan: Auch die Musik zu Andersons „The Master“ (ab heute im Kino, Tsp. vom 20.2.) verantwortet er.

„There will be Blood“ war der zweite Filmscore des 1971 in Oxford geborenen Briten. Vorher hatte er einen Dokumentarfilm mit jazzigen und orchestralen Ausnahmemotiven unterlegt, ein paar der Stücke finden sich in „There will be Blood“ wieder. Hätte er alles neu geschrieben, zu den Oscars für Hauptdarsteller und Kamera wäre wohl noch einer dazu gekommen. Aber die Oscar-Regularien erlauben keine Zweitverwertung. Bei der Berlinale 2008 gewann Greenwood jedoch einen Silbernen Bären, den Anderson für ihn entgegenahm – Greenwood wurde gerade das dritte Mal Vater. Dass ein britischer Popmusiker mit den renommierten alten Hasen des Geschäfts konkurrieren kann, ist ein kleines Wunder. Greenwood, der auf Geigenunterricht in seinem Lebenslauf verweisen kann, gern über seine Begeisterung für den polnischen Komponisten Kryzysztof Penderecki spricht und auch mit ihm zusammenarbeitete, fand bei Anderson den nötigen inszenatorischen Mut. Dass der im Konzert oft hinter den Verstärker sich verdrückende Schlaks mit den TwenT-Shirts mehr kann als das Dur-Moll-Verhältnis zwischen Akkorden abzuwägen, hatte Anderson schon bei RadioheadSongs wie „Creep“ bemerkt. Mit dem Musiker teilt der Regisseur die Leidenschaft für gewagte Soundtracks wie den von Kubricks „The Shining“. Der Horrorkultfilm mit Jack Nicholson setzte als einer der ersten Filme neue Musik ein, um die Zuschauer zu irritieren: Die Tonspur ist mit Penderecki-Musik nur so gespickt.

Greenwood geht es nicht um Untermalung, sondern um Spiegelungen. 2009 schrieb er die Musik zu „Naokos Lächeln“, der Verfilmung des MurakamiBestsellers. Eine traurige, langsame Geschichte über Verlust und Liebe, bei der er sich mit der Musik soweit wie möglich vom Drehbuch entfernte. Eher Opus als Soundtrack, entspricht sie zwar der emotional aufgewühlten Stimmung, wie sie in den Bildern von sturmgepeitschten Bäumen zum Ausdruck kommt, ist ihnen an Kraft jedoch weit überlegen. Greenwoods eindringliche Kompositionen lassen die Story förmlich hinter sich. Es ist ein Genuss, sie zu hören – ohne Film noch mehr als mit. Dem düsteren Psychodrama „We need to talk about Kevin“ nähert sich Greenwood hingegen kongenial an. Die starke Emotionalität des Sounds entspricht dem gruseligen Mutter-Kind-Verhältnis und macht die Verzweiflung Tilda Swintons als Mutter eines Amokläufers sinnfällig.

Jetzt also „The Master“, Andersons Doppelporträt eines Sektengurus (Philip Seymour Hoffman) und seines Jüngers (Joaquin Phoenix). Neben Phoenix’ unglaublicher Hingabe an seine Rolle, die ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte, neben einer fast physisch zusetzenden Kamera ist es wiederum Greenwood, der Wunder vollbringt.

Die Anfangssequenz zeigt körperlich wie geistig lädierte Soldaten auf einer Pazifikinsel beim Saufen, Raufen und Flachsen – Greenwood fügt zu Clustern verdichtete Streicherklänge hinzu. Als die Soldaten einen Kreis bilden, parodiert die Musik plötzlich jene Rhythmen, die die Atmosphäre von US-Kriegsfilmen wie „Verdammt in alle Ewigkeit“ prägen – pulsierend, jazzig, noch von dem Glauben beseelt, Krieg bestehe vor allem aus Heldentaten. Aber bei Anderson sind Soldaten zerstörte, kaputte Menschen, wie sich herausstellen wird. Greenwoods meisterliche Musik erzählt davon gleich zu Beginn. Einmal mehr lässt sie das Publikum atemlos in den Sitzen zurück.

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