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Seifenoperphantome. Mickey und Co. in „The Rake’s Progress“.

© Lieberenz/bildbühne.de

"The Rake’s Progress": Seele zum Schnäppchenpreis

Krzysztof Warlikowski macht an der Staatsoper aus Strawinskys "The Rake’s Progress" ein Musical. Er hat dabei ein unverschämtes Glück mit seiner Premierenbesetzung.

1947 sah Igor Strawinsky bei einer Ausstellung William Hogarths Kupferstichserie „The Rake’s Progess“ – und wusste sofort: Da steckt Musik drin. Das 1733 entstandene Werk zeigt die Karriere eines Wüstlings, zum Zweck der moralischen Erhebung aller Betrachter. In sechs bühnenreifen szenischen Arrangements hält der Maler den Niedergang eines reichen Mannes fest, vom Einzug in ein herrschaftliches Palais über Ausschweifungen in Spielhölle und Bordell bis zum elenden Ende im Irrenhaus.

Strawinskys Freund, der Dichter W. H. Auden, ließ sich von den Bildern zu einem Libretto inspirieren, das virtuos mit englischen Redewendungen und poetischen Topoi des 18. Jahrhunderts spielt. Tom Rakewell heißt der Titelheld, dem die treue Anne Trulove wie ein Schutzengel zur Seite steht. Denn der Wüstling bekommt es bei Auden mit dem Teufel persönlich zu tun. Dieser verschafft Rakewell unter dem Namen Nick Shadow erst ein Vermögen, um ihn danach durch allerlei Versuchungen zu ruinieren. Natürlich mit dem Ziel, am Ende seine Seele zum Schnäppchenpreis zu ergattern.

Dieses metaphernreiche Märchen vertonte Strawinsky in seinem neoklassischen Privatstil, der alle nur erdenklichen Musikmoden von der Renaissance bis zum Belcanto mischt. In Melodieführung, Rhythmik und dramaturgischer Schnitttechnik dagegen zeigt sich der Komponist eindeutig als Denker des 20. Jahrhunderts. Eine Collage, die in ihrer Dauerdoppeldeutigkeit den Hörer schnell schwindelig macht. Und die den Regisseur Krzysztof Warlikowski offenbar zu der Einsicht verhalf, dass „The Rake’s Progress“ für das heutige Publikum nur in einer Form zu retten sei: als Musical.

Das metallisch glänzende Bühnenbild, das Ausstatterin Malgorzata Szczesniak auf die Bühne des Schillertheaters gestellt hat, ist ein Käfig für lauter Narren: Hier tummeln sich Transen und Nutten, hier zeigen gut gebaute Kerle ihre nackten Oberkörper, hier sind alle Phantome der Seifenoper zu Hause, von Mickey Mouse über Spiderman bis zu Darth Vader. Der Teufel trägt nicht Prada, sondern eine Andy-Warhol-Perücke und Tom Rakewell, der nicht weiß, was er tut, gleicht optisch dem jungen James Dean.

Warlikowski hat aber auch ein unverschämtes Glück mit seiner Premierenbesetzung! Florian Hoffmann gibt den idealen Toy-Boy ab für Luzifer, der hier selbstredend homosexuell ist und zum Showdown im schwarzen Pailletten-Anzug erscheint. Dieser Tom Rakewell ist ein hochattraktiver Knabe, der sich nicht nur verblüffend jungenhaft durch die Szenen bewegt, sondern seine Partie auch musikalisch ganz lässig gestaltet, mit schlankem Tenor und maximaler Textverständlichkeit. Gidon Saks geriert sich als Nick Shadow dagegen betont rampensäuisch, ein schriller Schattenmann, der definitiv keine Angst vor hässlichen Tönen hat.

Alles Allegorische des Librettos erscheint in dieser Inszenierung als sehr fleischlich, selbst die Maschine, mit der der Teufel im Original Steine in Brot verwandeln kann, wird bei Warlikowski zum realen Hackepeter-Wolf. Anne Trulove, die Herzensreine, könnte in Gestalt der Anna Prohaska problemlos als MTV-Moderatorin arbeiten – so selbstbewusst, wie sie ihre virtuose Sopranstimme einsetzt, ist auch ihre Körpersprache. Birgit Remmerts Puffmutter Goose ist keine alte Vettel, sondern ein Prachtweib. Und selbst die denkbare Abräumer-Rolle von Baba, the Turk, der vollbärtigen Jahrmarktsattraktion, die Tom Rakewell nur heiratet, um der Klatschpresse zu gefallen, wird hier mal nicht von einer Diva im Spätherbst der Karriere gesungen. Sondern mit Nicolas Zielinsky, einem Countertenor mit Modelmaßen. Der Friedrichstadtpalast hatte für seine Show „Yma“ dieselbe Idee – ohne aber einen nur annähernd so erotischen Darsteller aufbieten zu können. Die broadwaybunte Zuspitzung des Stücks kommt an beim Premierenpublikum – auch wenn es musikalisch lediglich eine einzige musicalhafte Szene gibt: Wenn nämlich das einsame Cembalo, das den finalen Kampf um Toms Seele begleitet, elektronisch verstärkt und verzerrt wird.

Im Übrigen bleibt das Spiel der Staatskapelle über die drei Stunden maximal spröde. Und leider auch weitgehend blutarm. Zumindest auf dem Kritikerplatz in der Mitte der 4. Reihe lassen sich nur die Holzbläserstimmen klar nachvollziehen, die Streicher bleiben dagegen meist ohne Kontur und zwingenden Puls. Erstaunlich, gilt Ingo Metzmacher doch als Spezialist für dieses Stück. Ein akustisches Problem im Schillertheater also? Oder sollte es dem Dirigenten vielleicht nicht gelungen sein, die Musiker restlos für Strawinskys Partitur zu begeistern?

Am 12., 15., 18., 20., 23., 25. u. 29. 12.

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