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Engagiert für Kreuzberg. Dominique Wolf kommt seit zwei Monaten auf den Platz.

© Doris Spiekermann-Klaas

Theater auf der Cuvrybrache in Berlin: Friede den Kreuzberger Hütten

Die Schauspielerin und Regisseurin Dominique Wolf spielt mit ihrem Ensemble auf der Cuvrybrache. Ein Treffen in der ersten Favela Berlins.

Für die beiden Touristinnen ist der Platz vor allem ein cooles Motiv. „No Fotos please“, die auf ein Brett gemalte Bitte über dem Eingang an der Schlesischen Straße, müssen sie übersehen haben. Die Frauen fotografieren sich gegenseitig inmitten eines Haufens von Gerümpel, dann ziehen sie lachend weiter. See you on Facebook.

Die Cuvrybrache, auch bekannt als Berlins Favela, gewinnt langsam aber sicher Wahrzeichencharakter. Brandenburger Tor, Fernsehturm, Slum. Es ist schon viel berichtet worden über dieses unbebaute Gelände an der Spree, auf dem seit Mitte 2012 Aussteiger, Asylsuchende, Abhängige und Arme leben. Zunächst in Zelten, mittlerweile in Hütten. Vielleicht sind es hundert, vielleicht mehr, keiner weiß das so genau. Der Platz im Herzen der hippen Partymeile ist längst zur Projektionsfläche geworden. Für Horrorfantasien über Drogen, Gewalt und drohende Pest auf der einen Seite. Der Müll, die Stadt und der Tod. Für Sozialutopien, die sich an Schlagworten wie Freiraum aufhängen, auf der anderen Seite. Ein weiterer Ort, der den Politikern entglitten ist. Dass die Brache, die einem Münchner Investor gehört, irgendwann geräumt wird, steht außer Frage. Dann könnte es zu einer Krise wie an der Gerhart-Hauptmann-Schule kommen.

Vorerst aber soll auf dem Platz der Frieden einziehen. Der „Wolfsfrieden“. So nennt die Schauspielerin und Regisseurin Dominique Wolf ihr Projekt, mit dem sie ein anderes Gesicht der Favela und vor allem seiner Bewohner zeigen will. „Ich nehme gerade die Stimmen der Cuvryaner auf“, erzählt die Künstlerin, „die werden über Lautsprecher zu hören sein“. Die Leute sollen sagen, was ihnen schon lange auf der Seele brennt: „Dass sie wünschen, dass der Müll abtransportiert wird. Dass sie in eine normale Toilette kacken wollen“. Viele dächten ja, die Bewohner fühlten sich wohl im Dreck.

Während das Publikum auf dem Pacours ist, tafeln die Bewohner

Vorurteile abbauen. Die Nachbarschaft einbinden. Darum geht es der Regisseurin. Zusammen mit ihrer Truppe, die sich „Wolfsbühne“ nennt, plant sie, die Hütten einiger Cuvryaner mit einem Parcours zu bespielen. Alltägliche Szenen werden sich darin ereignen, pralles Leben. Die Favela-Dramolette tragen Titel wie „Aufstand“, „Die dreckige Moral“ oder „Die Stille“. Eine Art X-Hütten. Während die Zuschauer von Haus zu Haus ziehen, sollen die Bewohner an einer 20 Meter langen Tafel in der Mitte der Brache fürstlich speisen. Die Bierbänke hat das Restaurant gesponsert, in dem Wolf nebenher kellnert. Das Essen soll aus der Regenbogenfabrik kommen. „Die Wolfsbühne“, sagt die Regisseurin, „will den Platz beleben“. Am liebsten würde sie hier eine Art Operndorf nach Schlingensiefs Vorbild errichten. Mitten in Berlin statt in Burkina Faso.

Wolf, Jahrgang 1978, in kleineren Rollen regelmäßig in Film und Fernsehen zu sehen, hat ihre Gruppe 2009 gegründet. Sie wollte zu diesem Zeitpunkt keine Schauspielerin mehr sein und fing an, ihre eigenen Sachen zu schreiben. Das erste Projekt hieß „Durchgedreht 24“, ein Rund-um-die-Uhr-Spektakel. Morgens schreiben, tagsüber proben, abends spielen. Sehr Fassbinder-mäßig. Passt schon, dass sich Wolf den Künstlernamen Rainer Werner Maria zugelegt hat.

Im vergangenen Jahr hat die „Wolfsbühne“ mit dem Stück „12 Gebote“ leerstehende Schleckermärkte bespielt. Eine orgiastische Adam-und-Eva-im-Kapitalismus-Geschichte war das. „Viele empfinden ihre Ideen als verrückt und wenden sich ab, aber der Kreis derjenigen, der an sie glaubt, lässt mit ihr zusammen Großartiges entstehen“, steht über die Künstlerin auf der Wolfsbühnen-Homepage. Irrsinn? Egotrip? In jedem Fall klingen ihre Projekte nicht uninteressant.

Dominique Wolf ist für einige Bewohner zur Vertrauensperson geworden

Engagiert für Kreuzberg. Dominique Wolf kommt seit zwei Monaten auf den Platz.
Engagiert für Kreuzberg. Dominique Wolf kommt seit zwei Monaten auf den Platz.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mit der „Nospreenovela“ hat sie eine schwimmende Opernsoap auf der Spree konzipiert. Motive davon werden sich im „Wolfsfrieden“ wiederfinden. In ihrem „Slumbeichtstuhl“ – einer mobilen Wellblechhütte – konnte man sich die Wodka-Absolution erteilen lassen. „Ich mag es eben, mitten im Volk zu spielen“, sagt die Künstlerin.

Seit zwei Monaten kommt Dominique Wolf regelmäßig auf die Cuvrybrache. „Anfangs dachten manche: Die quatscht nur rum“, lacht sie. Inzwischen ist sie für viele nicht nur Vertrauensperson, sondern auch PR-Beraterin geworden. Die Cuvryaner sind ja gefragte Interviewpartner. Manche haben sich dabei schon bedröhnt um Kopf und Kragen geredet. Und fanden sich entsprechend unschmeichelhaft in Berichten porträtiert.

Jetzt, im Zuge des „Wolfsfriedens“, hat die Regisseurin ein Auge darauf, wer mit wem spricht. Und handelt für ihre Protagonisten schon mal Honorare aus. „Ich will nicht, dass die Leute nur begafft werden wie im Affenstall“, betont sie. Das Medieninteresse ist enorm. Während des Gesprächs mit Wolf auf einer schwarzen Couch inmitten der Brache wartet schon ein Kamerateam von Spiegel Online, später kommt noch der Stern, zwei Tage zuvor hat das „Vice“-Magazine in Erwartung der bevorstehenden Räumung hier campiert. Man ist Teil eines Trosses, der sich vorsehen muss, nicht nur die Schaulust, den Favelakitzel, den Armutstourismus zu bedienen.

„Arm?“, fragt Artur. Er zählt zu den wenigen Bewohnern, die noch ohne Misstrauen mit der Presse reden. Er lebt seit fünf Monaten auf der Brache, davor hat er im U-Bahnhof geschlafen. „Ich habe zu essen, einen Schlafplatz, die Sonne scheint“. Was bedeute schon Armut? „Nur fehlt mir etwas, das man nicht in Worte fassen oder mit Händen greifen kann“, sagt er. Artur, der aus Albanien stammt, ist einer, der nie unüberlegt antwortet. Wenn man ihn fragt, ob die Gruppe auf dem Platz eine Gemeinschaft sei, zerlegt er bedächtig das Wort. „Gemein – schaft“. Er kenne Gemeinschaftssäle aus dem Gefängnis, sagt er dann. Ob man diese Art meine? Nein. Solidarität. Zusammenhalt. Hilft man sich hier? „Ich kann nur für mich sprechen“, entgegnet er. „Braucht jemand Erste Hilfe, ein Stück Brot, einen Schluck Bier, einen Joint? Ich gebe, was in meiner Macht steht“.

Neben ihm sitzt Martina. Junge Aussteigerin aus Frankfurt am Main. Sie hat im vergangenen Jahr vier Monate hier gelebt, jetzt wohnt sie seit Februar wieder auf der Cuvry. Der Platz habe sich entwickelt, findet sie. „Wir können zum Duschen in die Bürgerhilfe gehen, Wasser holen“. Viele, die vorher im Drogensumpf steckten, hätten sich eine Existenz aufgebaut. „An der Spree, in Toplage“.

Es ist nicht so, als würden Artur und Martina die Probleme der Brache ausblenden. Die mangelnde Hygiene. Die nervenden Diebstähle. Die Roma-Kinder, die nicht in die Kita oder zur Schule gehen. Aber das sei eben nur die eine Seite. Sie würden es beide begrüßen, wenn Dominique Wolfs Projekt einen anderen Blick auf das Leben hier schaffen könnte. Einen differenzierten. „Der ‚Wolfsfrieden’ ist ein Angebot", sagt die Regisseurin. „Was daraus entsteht, wird man sehen“.

Cuvrybrache, Schlesische Straße/Cuvrystraße, Sa 26. Juli, 19 Uhr, 10 €

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