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Altenteil. Jürgen Holtz (Kreon), Klaus Maria Brandauer (Ödipus) und Katharina Susewind (Antigone).

© Monika Rittershaus

Theater: Berliner Ensemble: Der jähe Tod, das zähe Schwinden

Saisonauftakt am Berliner Ensemble: Peter Stein besucht "Ödipus auf Kolonos" - mit gewaltigem Götterdonner und Lichtexplosion.

Man kennt es doch schon, das schreckliche Ritual. Warum schon wieder? Im Sommer stirbt ein großer Theaterkünstler, und eine neue Spielzeit beginnt. Der berühmte Lappen, der ja kaum noch vor einer Bühne hängt, muss hoch. Jetzt ist Christoph Schlingensief gestorben, im Jahr zuvor war es Jürgen Gosch, der ging. Und Pina Bausch. Und Peter Zadek. Immer sterben sie im Sommer. 2008 hat die Theaterwelt Klaus Michael Grüber verloren, 2001 traf es Einar Schleef. Auch wenn das nun schon etwas zurückliegt und vielleicht der unvermeidliche Gang der Dinge ist – ertragen lässt es sich schwer.

Und schon gar nicht verdrängen, wenn man jetzt im Berliner Ensemble sitzt und die erste Premiere der Saison sieht, den „Ödipus auf Kolonos“ von Sophokles. Man ist verstört und abgelenkt. Der Tod räumt mit entsetzlicher Sicherheit diejenigen ab, die dem Theater Leben schenken, Kraft und Tiefe. Die auf dem Hochseil tanzten; auch am BE. Hier wollte Jürgen Gosch vor Jahresfrist noch die „Bakchen“ inszenieren. „Die Revolution ist die Maske des Todes“, das wusste Heiner Müller. Auch er fehlt, ist unvergessen, zumal am Schiffbauerdamm. Das Theater trägt die Maske des Todes – dem hätte er wohl zugestimmt.

Wie soll man nicht an die Fatalitäten denken! Die Vorstellung beginnt damit, dass ein alter Mann auf die Bühne geführt wird, es ist der beklagenswerte Ödipus, blind und zerlumpt, umherirrend in der Fremde. Zu einem heiligen Hain bei Athen ist er gelangt, hier will er sterben. Ein Endspiel. Noch zweidreiviertel Stunden (ohne Pause) bis zur Erlösung, die Regisseur Peter Stein wie ein Finale für Faust inszeniert, mit gewaltigem Götterdonner und Lichtexplosion.

Man beobachtet also eine berühmte Figur der abendländischen Mythologie, wie sie ihre letzten Dinge ordnet. Insofern glaubte Sophokles um das Jahr 400 v. Chr. an einen Rest von freiem Willen, während Samuel Beckett, der hier zwangsläufig auch präsent ist, Mitte des 20. Jahrhunderts pessimistischer war, was die Selbstbestimmung des Individuums angeht. Bei Peter Stein schwingt aber immer noch etwas anderes mit, eine Tragödienbehauptung in eigener Sache: Er sieht sich als einer der letzten, wenn nicht als den letzten Repräsentanten einer humanistischen Theaterkultur, die rings um ihn herum in den Staub gesunken ist, und Klaus Maria Brandauer, sein Hauptdarsteller, teilt solche Ansichten. Ebenso Claus Peymann, der Hausherr am BE, der als nächstes allerdings Texte des deutlich jüngeren britischen Dramatikers Mark Ravenhill (berühmt geworden durch „Shoppen und Ficken“) inszeniert.

Das ist die Ausgangslage für diesen Abend, der vor einigen Wochen bei den Salzburger Festspielen Premiere hatte (siehe Tagesspiegel vom 28. Juli) und in Berlin in eine merkwürdige Stimmung hineingerät. Soeben hat Matthias Lilienthal erklärt, dass er in zwei Jahren das Hebbel am Ufer abgeben und sich neuen, noch unbekannten Aufgaben zuwenden wird; nicht unbedingt eine gute Nachricht für die Hauptstadt. Denn es ist mehr und mehr zu beobachten, wie das Theater in Generationen zerfällt. Es gibt durchaus eine Generation Stein/Peymann, die sich in einem „Ödipus auf Kolonos“ wiederfindet, und es gibt andere, die sich über Schlingensief/Lilienthal und natürlich auch Frank Castorf sozialisiert haben. Unsere Theaterwelten driften auseinander – weil tragischerweise mit einem Gosch, einem Grüber, einem Zadek jene Inszenatoren verstummt sind, die solche Grenzen überwinden konnten. Bei denen die Fraktionsfrage keine Rolle gespielt hat.

Steins Theater erstarrt in Statik. Man ist aber auch froh, dass Brandauer einmal nicht um jeden Preis auftrumpft; kaum ist er in der zotteligen Ödipus-Maske zu erkennen. Jürgen Holtz als Kreon zickt, das bringt Abwechslung und hat eine gewisse Schärfe, Christian Nickel als Theseus glättet die Wogen künstlicher Aufregung und kann vor Würde kaum laufen. Ödipus’ Töchter Antigone (Katharina Susewind) und Ismene (Anna Graenzer) jammern und weinen, wie man nur im Theater jammert und weint. Die wirkliche Schwäche aber zeigt sich im Chor. Das ist ein Haufen alter griechischer Männer, wie man sie sich vor der Taverne beim Ouzo und Schwatzen über das Schicksal denken könnte. Nur sind diese Choristen in der Mehrzahl gar nicht alt, sondern tun nur so, tattern und flattern vor dem Mäuerchen herum, das den ominösen Olivenhain begrenzt (Bühne: Ferdinand Wögerbauer). Ist diese Komik gemeint und gewollt? Oder hat ein Meister wie Peter Stein das Gefühl dafür verloren, dass hochtönender Ernst verdammt leicht ins Lächerliche kippt, was schon bei seinem „Faust“-Marathon Anno 2000 ein Riesenproblem war?

Es ist heute schwer, im Theater zu altern, so oder so. Wurden die Erfindungen des sogenannten Regietheaters mindestens als Untergang des Abendlands empfunden, liegt die Zumutung hier in der Abwesenheit nennenswerter Regiearbeit. Das Interessante ist: Auch mit klassizistischem Arrangement kann man ein Stück zerstören, ins Seelenlose wenden. Es zeigt sich dann nur nicht gleich so offensichtlich. Jäher Tod, zähes Schwinden: Am Ende einer traurigen Woche bringt dieser abschwellende Bocksgesang keinen Trost.

Wieder heute und am 28. u. 29. 8. sowie am 1. und 2. 9.

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