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Hipsterpärchen. Oliver Stern als Dr. Stockmann und Eva Meckbach als Gattin. Foto: O. Zillmer

© DAVIDS

Ibsens "Volksfeind" an der Schaubühne: Das ist die Berliner Luft

Thomas Ostermeier inszeniert Ibsens „Volksfeind“ an der Schaubühne im Hipster-Milieu. Der Regisseur zelebriert dabei das Lebensgefühl, das er angeblich vorführen will.

Was trägt der Hipster? Hornbrille, Holzfällerhemd, enge Hose und bunte Turnschuhstiefel. Wie wohnt der Hipster? Kreativ chaotisch, als junge Familie immer noch wie in der Studenten-WG. Der Nudeltopf stößt auf dem langen Tapeziertisch mit dem Keyboard zusammen und das Sofa ist etwas gammelig, aber genau das gleiche, das in der vierten Staffel von „Mad Men“ in Don Drapers Büro steht. Wovon träumt der Hipster? Vor allem von einem Lounge Chair von Charles Eames und einer Liege von Le Corbusier, weshalb er beides schon mal auf die Wände seiner Hipsterwohnung gezeichnet hat. Ein bisschen träumen der Badearzt Thomas Stockmann, die Journalisten Billing und Hovstad und Thomas’ im Schuldienst tätige Ehefrau, während sie da mit ihrer Feierabendband David Bowies „Changes“ vor sich hinschrammeln, natürlich auch vom Widerstand gegen die Verhältnisse. Wahrheit! Aufrichtigkeit! Aber bitte nur, wenn man dabei „übelst berühmt“ wird und die eigene Stellung nicht gefährdet ist. Marken, Label, Distinktionsgewinn sind wichtiger.

Willkommen in der Schaubühne, willkommen in Thomas Ostermeiers Berlin-Mitte-Zoo. Ostermeier nutzt Ibsens „Volksfeind“, die Geschichte vom Badearzt Stockmann und seinem Kampf für die Wahrheit, erst einmal dazu, sich über die hilflose Selbstgefälligkeit, den narzisstischen Habitus der digitalen Bohème lustig zu machen. Biedermeier-Milieubashing am Puls der Zeit! „Nee, ne“, sagt Eva Meckbach als Stockmanns Ehefrau, die von ihrer Dreifachrolle als Mutter, Halbstellenlehrerin und Aushilfsdrummerin dauerüberfordert ist und dennoch Zeit findet, sich im einfältigen Brigitte-Ton darüber zu empören, dass „wir mit unseren Zensuren Kinder ausgrenzen“.

Moritz Gottwald als Hilfsjournalist Billing verschwindet wieder unter seinem Kopfhörer und schlurft zur Sofaecke, um seine Ruhe zu haben. Da kommt auch schon Stefan Stern als Dr. Stockmann in die Wohnung gerauscht. Rotgesichtig, erregt. Er hat gerade die Bestätigung erhalten, dass das Heilwasser des Ortes von Krankheitserregern durchsetzt ist, und freut sich mit kindischer Beschränktheit schon auf die verdutzten Gesichter da oben, wenn die Bombe platzt.

Widerstand als Revanche, aus dem Impuls einer Kränkung heraus. Das ist alles klein und kläglich. Oder macht sich Ostermeier gar nicht lustig, sondern zelebriert das Lebensgefühl, das er angeblich vorführen will, in Wirklichkeit selbst? Warum darf sonst die Band mehrmals minutenlang Bowie spielen? Warum werden die Beziehungsrituale einer prekär lebenden Jungfamilie so betulich ausgemalt? Warum darf Billing völlig unmotiviert an die Rampe treten und wie ein DJ die üblichen Yo-Yo-Bewegungen ins Publikum machen? Es verdichtet sich der Eindruck, dass das Milieu nicht analysiert, sondern als Markenzeichen eingesetzt wird, dass die aus dem St. Oberholz geschnitzten Figuren über die schicke, von Jan Pappelbaum entworfene Bühne geschoben werden, um angeberhaft ein bisschen Berliner Piratenluft aufkommen zu lassen. Schließlich ist Ostermeier der Regisseur, der mit seinen Inszenierungen weltweit am meisten unterwegs ist – die Erstaufführung fand diesen Sommer in Avignon statt. Und als erster Theaterrepräsentant Berlins kann man mit der vermeintlichen Hipness unserer kleinen Stadt natürlich selbst Distinktionspunkte sammeln.

Abgesehen von dem übergehängten Modejargon wird die Geschichte in solider Boulevardmanier runtergespielt. Ingo Hülsmann als Klischee eines Machtmenschen zerstört die Revoluzzerträume der Combo, zieht, indem er die Folgen einer Veröffentlichung der Giftentdeckung an die Wand malt (Millionenkosten für die Gemeinde, Arbeitsplatzverlust, Steuererhöhung) und auch sonst intrigant die Strippen zieht, einen nach dem anderen auf seine Seite. Bis Stockmann als Feind der Gemeinde dasteht.

Am Ende zieht die Inszenierung ihren pathetischen Trumpf. In Stockmanns Wutrede an die Gemeinde hat die Dramaturgie das furiose Manifest „Der kommende Aufstand“ des „Unsichtbaren Komitees“ eingebaut. Stockmann spricht direkt ins Publikum, das dann tatsächlich mit ihm und der Gegenseite über „Veränderungsmöglichkeiten in der Demokratie“ diskutieren soll (wozu es aber keine Lust hat). Hipness, boulevardeske Überzeichnung und hochdramatisches Mitmachtheater. Das passt nicht zusammen, ist aber auch nicht für Berlin gemacht. Auf der bevorstehenden Berlinwerbetheatertour deshalb trotzdem viel Spaß!

Wieder am 10., 12., 13. und 15. September

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