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© dpa

Theater: Das Lied der Fische

Ein letzter Tanz, ein letztes Lachen: Eine unverklemmte, würdigen, schöne Gedenk-Matinee für Jürgen Gosch am Deutschen Theater Berlin.

Die Matinee für Jürgen Gosch beginnt mit einem Hornstoß. Christoph Franken, den man als unglücklichen, dauerschokoladenessenden Lehrer aus Goschs Tschechow-Inszenierung „Die Möwe“ kennt, tritt an die Rampe, setzt das Blasinstrument an und entlockt ihm nur einen einzigen Ton. Und der gibt sich kein bisschen Mühe, auch nur ansatzweise nach Fanfarenstoß zu klingen. Frankens Horn-Laut ist einfach, was er ist – ein wunderbarer, absolut stimmiger und eben auch nicht unwitziger Auftakt für die Gedenkstunde, mit der das Deutsche Theater noch einmal den großen Regisseur Jürgen Gosch ehrt, der am 11. Juni 65-jährig seiner Krebserkrankung erlag.

Wie wohltuend, dass beim Abschied von diesem Künstler, der bis zuletzt am Krankenbett mit seinen Schauspielern an der Neuinszenierung der „Bakchen“ für die Salzburger Festspiele geprobt hatte, keine in Stein gemeißelten Reden gehalten, keine museumstauglichen Pathosformeln beschworen werden. Allein Goschs Schauspieler kommen zu Wort und schenken sich selbst und den Zuschauern einfach noch einmal das, wofür sie den Regisseur so geliebt und verehrt haben: das Pure, Nackte, Ungekünstelte; das Hereinbrechen des Lebens in die Kunst und umgekehrt.

Im Halbkreis sitzen sie auf der Bühne und schauen, wie in Goschs Inszenierungen, einander höchst interessiert beim Spielen zu: Corinna Harfouch und Ulrich Matthes, Meike Droste, Jens Harzer, Christian Grashof, Bernd Stempel, Charly Hübner, Dörte Lyssewski, Stephan Grossmann und viele andere, die die Tschechow-, Shakespeare- und Schimmelpfennig-Inszenierungen in Berlin, Düsseldorf und Zürich in den letzten fünf Jahren zu Ereignissen gemacht haben. Weitere große Gosch-Schauspieler wie Margit Bendokat, Corinna Kirchhoff oder „Macbeth“-Darsteller Thomas Dannemann sitzen als Zuschauer im Parkett.

Konsequenterweise sprechen die Schauspieler nicht. Es wird ausschließlich gesungen und musiziert an diesem Vormittag. Ohne Verstärker, ohne doppelten Boden, oft a-capella, und sehr gern Trinklieder. Meike Droste, die umwerfende, aggressiv-unglückliche Mascha aus der „Möwe“, schließt noch einmal die Augen, löst sich von ihrem Stuhl und beginnt, ganz leise dieses alkoholisierte Lied anzusummen, in dessen Verlauf dann Ton für Ton das komplette Unglück, aber eben auch die ganze Energie dieser Figur geradezu explodiert. Auch Ulrich Matthes und Jens Harzer – Wanja und Astrow aus Tschechows „Onkel Wanja“ – tanzen noch einmal ihr wahnsinniges, atemberaubendes Vergeblichkeitsduett. Ganz vorsichtig, verhalten beginnen sie ihren Desillusioniertenblues und steigern sich förmlich millimeterweise bis zum wahnwitzigsten Veitstanz. Wenn man Matthes und Harzer zusieht, wie sie das bei dieser Matinee, in Jeans und Pullover, so schlicht wie intensiv aus dem Stegreif entwickeln, oder wenn man Corinna Harfouch zuhört, wie sie dieses traurige Vergänglichkeitslied von den Fischen aus der Zürcher Inszenierung „Hier und Jetzt“ singt, wird es einem so klar wie nie. In diesen Liedern, entweder ganz pur oder begleitet von Kollegen auf Gitarre oder Akkordeon, sind Goschs Figuren immer zugleich ganz bei und völlig außer sich; da läuft alles in einem Punkt zusammen. Die größte Kraft und die definitive Vergeblichkeit; tiefe, unsentimentale Tragik, Witz und eine ungeheuer zärtliche Versöhnlichkeit. Es hätte keinen stimmigeren Abschied geben können!

Jürgen Goschs engster Mitarbeiter, der Bühnenkünstler Johannes Schütz, hat den Schauspielern dafür den Raum gebaut. Er nimmt noch einmal Goschs letzte Arbeiten am Deutschen Theater auf: Tschechows „Möwe“ hatte vor komplett schwarzem und Roland Schimmelpfennigs „Idomeneus“ vor komplett weißem Hintergrund gespielt. Nur der Aktionsraum für die Schauspieler war vom vorletzten zum letzten Stück deutlich kleiner geworden. Bei „Idomeneus“ war der Spielraum höchstens noch einen Meter tief. Jetzt sitzen die Schauspieler unter einem unaufdringlichen schwarzen Rahmen. Dahinter öffnet sich weiß und weit die Bühne.

Wie wohltuend, dass auch viel gelacht wird an diesem unverklemmten, würdigen, schönen Sonntagmorgen. Gosch, sagen viele Schauspieler, die mit ihm gearbeitet haben, hat auf den Proben unglaublich viel und gern gelacht.

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