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Beißender Spott. Puppe aus der Satire "Putin fährt Ski".

© Vojtech Brtnicky

„Theater der Dinge“ in der Schaubude: Seppel braucht ’ne neue Wetter-App

Von wegen leblos: Das Festival „Theater der Dinge“ in der Berliner Schaubude gibt einen Überblick über den State of the Art der Figuren- und Objektkunst.

Das Reiskorn, das Husam Abed behutsam auf der Fingerkuppe balanciert, verkörpert seinen Großvater. Immer mehr Familienmitglieder legt der Performer so auf der alten Landkarte des Nahen Ostens vor sich auf dem hölzernen Tisch ab, in der Nähe von Jericho, wo sich das Geburtsdorf der Vorfahren befand. Schließlich lässt Abed einen ganzen Haufen Reis herunterrieseln. Und schlägt unversehens mit der Faust so heftig hinein, dass die Körner in alle Himmelsrichtungen springen. „Das große Problem“ nennt er die Zäsur von 1948 nur, den israelisch-palästinensischen Konflikt mithin, dessen Lösung so fern scheint wie eh und je.

„The Smooth Life – Das ruhige Leben“ heißt diese Performance, die sich allerdings nicht nach politischen Statements streckt, sondern eine persönliche Geschichte für nur acht Zuschauer erzählt. Abed, aufgewachsen im palästinensischen Flüchtlingslager Baqa’a und Gründer des Dafa Puppet Theatre, hat sein Publikum um den runden Tisch in einem kleinen Zimmer versammelt, wo er mit Figuren und Objekten prägende Momente seiner Biografie belebt. An der Wand führen projizierte Schwarzweißfotografien in die 30er Jahre zurück.

Auf der drehbaren Platte lässt der Künstler das Taxi fahren, gebaut aus recyceltem Material, mit dem der Vater den Lebensunterhalt der Familie verdiente. Lässt die Zuschauer durch die Lupenaugen einer Wunderbox auf die Gesichter der Großväter schauen. Oder setzt sich selbst als Puppe auf eine Trage – bei Konflikten in Jordanien wäre er vor ein paar Jahren beinahe ums Leben gekommen. Das alles ist großartig einfach und eindringlich skizziert in Szene gesetzt. Eine Welt en miniature, aber eben niemals verzwergt.

Sarkastisch funkelnder Humor

„The Smooth Life“ zählt zu den Höhepunkten des internationalen Festivals „Theater der Dinge“, das an der Schaubude einen Überblick über den State of the Art der Figuren- und Objektkunst gibt. Nach dem tollen Festival „Digital ist besser“, mit dem Schaubuden-Leiter Tim Sandweg im vergangenen Jahr die avantgardistischen Potenziale des Genres befragt hat, liegt der Fokus diesmal auf dem Politischen. „Rebell Boy“ lautet entsprechend der Untertitel des Festivals. Wobei sich das Rebellische glücklicherweise nicht plakativ in der Parole äußert. Es bleibt hier viel Raum bleibt für einen nicht selten sarkastisch funkelnden Humor.

Der slowenische Künstler Matija Solce bespielt in „Happy Bones“, der Titel lässt es schon erahnen, einen kleinen Sarg voller Knochen. Star der Performance ist allerdings ein Pandabär, der sich nach dem Suizid seines Puppenspielers zu einem sehr komischen Traumflug über alle Untiefen der Existenz aufschwingt. In deren Zuge beweist der Panda nicht nur sein Beatboxing-Talent, sondern kehrt auch die Verhältnisse um, indem er die Zuschauer wie Marionetten dirigiert und fröhlich verkündet: „You are all puppets!“, ihr seid alle Puppen. Wohl wahr.

Eine Entdeckung – für Berlin – ist auch „Die Gräfin“ der Künstlerin Stefanie Oberhoff. Die hat eine kettenrauchende Großmutter mit erfrischend galliger Weltsicht erfunden, die sich in ihrer Stuttgarter Heimat eine treue Fangemeinde erspielt hat. Die Gräfin – eine toll gestaltete Puppe mit wildem weißem Haar – schnoddert sich altersgerecht skrupellos durch Weltgeschehen und Tagespolitik. Wobei auch mal von den Brüsten der Verteidigungsministerin die Rede ist, die auf „abrüsten“ gereimt werden. Großmutter darf das.

Kasper als lethargischer Slacker

Und Kasper? Klar, der kommt auch vor. Schließlich ist er so was wie der Ur-Rebell des Puppentheaters. In der Schaubuden- Produktion „Kasper unser“ befragen ihn Anna und Hans-Jochen Menzel als fett gewordenen, lethargischen Slacker, dem die Reibungsflächen abhanden gekommen sind. In „Tanz der Algorithmen“ von Nicole Gospodarek und Christiane Klatt findet sich der Anarcho unversehens in der schönen neuen Datenwelt wieder, wo sich die Gewitterclouds der Überwachung zusammenbrauen und der Seppel weggeblasen wird, weil seine Wetter-App den Sturm nicht vorhergesagt hat. Auch schön.

Weniger gelungen allerdings war die Performance „Tutti“, mit der die Co-Leiterin des Festivals, Sandy Schwermer, sämtliche beteiligten Künstlerinnen und Künstler in einer Art Revue präsentieren wollte. Da führten zum Beispiel Sam Kershon und Katah vom Dragon Dance Theatre aus Quebec ein unerträgliches Rührstück über vier Geflüchtete aus dem Senegal auf. Die beiden Aktivisten, sicher honorige Menschen und weltweit unterwegs in der Tradition des Protesttheaters mit Puppen und Masken, kaperten seltsam bedenkenlos den Schicksalsbericht der Vertriebenen. Noch dazu war der Vortrag kaum zu verstehen, weil die Künstlerin Katah derweil auf Socken durchs Theater wanderte und ohrenbetäubend in die Klarinette blies. Was für ein Kontrast zur leisen Selbstermächtigung eines Husam Abed. Immerhin, es regte sich ein deutlicher, auch formulierter Protest gegen dieses „Tutti“ aus dem Publikum. Auch daran beweist sich ja politische Wachheit.

Das Festival läuft noch an diesem Dienstag, 17. Oktober, www.schaubude.berlin

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