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Die Agrupación Señor Serrano aus Barcelona inszeniert ihr Stück „Birdie“ mit Miniaturfiguren.

© Pasqual Gorriz

Theater der Dinge: Traumtechniker

Beim gerade gestarteten Festival Theater der Dinge in der Schaubude und im Podewil sind Figuren und Objekte die Darsteller.

„Digital ist besser“ sangen Tocotronic schon 1995 auf ihrer gleichnamigen ersten Platte. Der Titel klingt für heutige Ohren prophetisch, war allerdings nicht ganz unironisch gemeint. Zumal die Band das Album analog produziert hatte und es vorwiegend auf Vinyl veröffentlicht wurde. „Digital ist besser“ heißt nun auch die diesjährige Ausgabe des internationalen Festivals Theater der Dinge, das an der Schaubude und im Podewil stattfindet. Es zielt ebenfalls nicht auf die vorbehaltlose Feier des vermeintlichen Fortschritts, sondern will den Status quo unserer Technisierung kritisch beleuchten.

„Wohin entwickeln sich Mensch und Gesellschaft in der Digitalisierung?“, fragt Tim Sandweg bei der Eröffnung des Festivals. Der künstlerische Leiter der Schaubude hat das Figuren- und Objekttheater an der Greifswalder Straße vor einem Jahr von Silvia Brendenal übernommen und macht seitdem einen guten Job.

Findet auch Kulturstaatssekretär Tim Renner, der schon deshalb zur Festivalpremiere nicht fehlen durfte, weil er selbst mal ein Buch mit dem Titel „Digital ist besser“ geschrieben hat. Auch Renner sinniert in seiner Rede eher zukunftsskeptisch über die Verdrängung des Menschen durch die Maschinen: „Die ganze Welt wird zum Figurentheater. Hoffentlich eines, das wir noch beherrschen“.

Die Formenvielfalt ist immens und erstaunlich

Arbeiten aus neun europäischen Ländern sind auf dem Festival Theater der Dinge zu sehen. Die Formenvielfalt ist immens und erstaunlich. Und es findet sich – beruhigenderweise – noch keine Inszenierung darunter, die ohne menschliches Zutun auskäme, so avanciert die Technik auch sein mag.

Der französische Künstler Yro etwa lässt in „Triangles Irascibles“ einen Live- Film entstehen, indem er Fotografien unter einer Art Mikroskop-Kamera bewegt. Die verfremdeten und auf Leinwand projizierten Schwarzweißbilder fügen sich zu einer melancholischen Erzählung über die verlorene Kindheit und den Tod der Eltern. Sehr assoziativ, elegisch, soghaft.

Mehr als einen Tisch, eine Lampe und eine Kamera benötigen auch die Belgier Vincent Glowinski und Teun Verbruggen nicht als Bühne. In „Duo à l’Encre“ (zu Deutsch: Duo mit Tusche) lassen sie den Zuschauer ebenfalls sehr unmittelbar am Entstehungsprozess teilhaben. Während Verbruggen mit höchst energetischen Jazz-Rhythmen am Schlagzeug antreibt, tobt sich Glowinski mit Kohlestift und Tusche aus. Und vor allem mit viel morbider Fantasie. Da werden Hochhäuser und Schlösser mit wenigen Handstrichen in Flammen gesetzt. Oder ein gerade noch vor Stolz geschwollener Ritter schrumpft in sich zusammen, als sich ein Tusche-Ungeheuer über ihm erhebt. Klar stehen dabei die handgemachten Augenblicksbilder im Vordergrund, die Performance lebt aber nicht zuletzt vom Körpereinsatz der Künstler, die sich schließlich in ein veritables Tusche-Massaker schrauben. Toll.

Was vor allem einnimmt für dieses „Theater der Dinge“ mit seinem Digitalisierungs-Fokus: dass die eingesetzte Technik tatsächlich nie Virtuosentum behauptet, sondern stets im Dienst mehr oder weniger konkreter Erzählungen steht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit „Birdie“ der vielfach preisgekrönten Agrupación Senor Serrano aus Barcelona – dem neuen katalonischen Figuren- und Objekttheater ist überhaupt ein Festival-Schwerpunkt gewidmet. „Birdie“ (2.11., 20 Uhr) entwirft mit menschlichen und tierischen Miniaturfiguren das Bild einer Welt in rastloser Bewegung, kontrastiert Themen wie Krieg und Flucht mit Aufnahmen von Zugvögeln und anderen Freiheitsanspielungen. Dafür bauen die Katalanen eine enorm detailverliebte Figurenlandschaft auf den Bühnenboden, in die mit der Kamera hineingezoomt wird.

Schneewittchen in der Holzbox - gruselig

In anderen Arbeiten hingegen beschränkt sich der technische Einsatz auf einen iPod nebst Kopfhörern, mit denen man durch eine Installation geleitet wird. So in „B.“, eine der besten Inszenierungen des Eröffnungswochenendes. Die Schweizer Gruppe Trickster widmet sich dem Schneewittchen-Stoff, allerdings einer frühen, grausameren Fassung, in der die leibliche Mutter ihre allzu schöne Tochter zum Sterben in den Wald schickt. Mit sanfter Stimme und bedrohlich knackenden Waldgeräuschen in den Ohren durchwandert man verschiedene enge Holzboxen, in denen Motive des Märchens lebendig werden. Die zurückgelassenen Schuhe der abwesenden Zwerge. Ein Tisch mit Utensilien wie Nagelfeilen und Wimpernzangen, die wie chirurgisches Besteck aufgereiht sind. Oder zuletzt lauter luftdicht verschweißte Gegenstände aus dem Leben von Mutter und Tochter – was nach gesichertem Tatort aussieht. „Wenn man stirbt, stirbt man dann für immer?“, fragt das Schneewittchen aus dem Kopfhörer.

Auffällig überhaupt, wie düster und einsamkeitsverhangen viele der Arbeiten bei aller äußeren Schönheit sind. Kristin und Davy McGuire aus Großbritannien zum Beispiel erwecken per Projektion ein Popup-Buch sagenhaft zum Leben – und erzählen von einer unmöglichen Liebe. Der deutsche Künstler Balz Isler dagegen gibt dem Objekttheater mit seinem „Pictorial Concert“ eine neue Note – indem er Objets trouvé aus dem Internet zu einer sich überlagernden Bildfenster-Sinfonie der Verlorenheit zusammenspannt. Im Zentrum steht die menschliche Existenz – inklusive Zeugungsakt (wenngleich verpixelt).

„Digital ist besser“? Fragt sich, wie es auch Tim Sandweg formuliert: besser als was? Denkanstöße dazu gibt das Festival auf spannende Weise.

bis 3.11. in der Schaubude u. im Podewil

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