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Theater: Der gepamperte Maestro

Johann Kresnik und Christoph Klimke nehmen sich in Salzburg den Mythos Karajan vor.

Der Maestro im Frack tanzt barfuß vor dem Spiegel, zerteilt im Rausch die Klangmassen der „Meistersinger“ und singt bis zur Erschöpfung das „Wahn! Wahn! Überall Wahn!“ von Hans Sachs. Ein nackter Tänzer tritt zu ihm, weiß geschminkt, mit Noten übersät, und verführt ihn zu einem zärtlichen Pas-dedeux. Am Ende ist der Frack weiß befleckt, der Dirigent konstatiert es pikiert.

Ja, wir befinden uns im Choreografischen Theater des Johann Kresnik. „Maestro“ heißt das Stück, das soeben im Salzburger Landestheater uraufgeführt wurde, und gemeint ist niemand andres als der zweitgrößte Salzburger Mythos: Herbert von Karajan. Um diesen Abend mit seiner erstaunlichen Bilderfindungskraft zu würdigen, muss man die folgende Sequenz gleich dazubeschreiben. Oben in der „Führerloge“, wo Hitler als Puppe in weißer Galauniform thront, singt ein Kinderchor in gestreifter KZUniform das Horst-Wessel-Lied. Unten auf der Bühne malt der Tänzer dem Maestro unauslöschlich seine beiden NSDAPMitgliedsnummern auf den Leib, die Salzburger 1607525 auf den Bauch, die Ulmer 3430914 auf den Rücken.

Eigentlich ist das Wichtigste schon ins Bild gebracht: Karajans (homoerotisch getönte) Eigenliebe, seine kunstwahnsinnige Egomanie, die ihn zum Einsamen machte. Und sein skrupelloser Karriereopportunismus zur Nazizeit – nicht zufällig sucht der Titel „Maestro“ den Gleichklang mit „Mephisto“, dessen Protagonist Gustaf Gründgens ein erstaunlich ähnliches Psychogramm aufweist.

Kresnik und seinem Autor Christoph Klimke fällt allerdings mehr als genug ein. Kenntnisreich hat Klimke das uferlose biografische Material ausgependelt und zu einer furiosen Textcollage verabeitet: Karajan-Selbstzitate, Stimmen von Kollegen, von Sängern, von Musikern, von Adoranten, von Kritikern, von Historikern, von Ehefrauen und Töchtern. Das Genre der braven Bühnenbiografie persiflierend, peitscht ein Conférencier als „Karajan-Fan“ in Mozartperücke und zwei Meter breiter Lederhose die Lebensdaten durch, und das zwölfköpfige Ensemble wirft sich mit Lust in die Parade der Kurzkarikaturen: von Karl Böhm zu Simon Rattle, von Madame Eliette zu Anne-Sophie Mutter, von Adorno zu „Spiegel“-Verreißer Heinz Klaus Metzger, vom frühen Freund Luis Trenker zum Historiker Oliver Rathkolb.

Durch diese dissonante Revue schreitet der Maestro unberührt. Und hier muss endlich von Rüdiger Kuhlbrodt die Rede sein. Der smarte Schauspieler (man kennt ihn aus Zadek-Inszenierungen) macht diesen riskanten Abend möglich, weil er nie in die Karikatur verfällt. Sogar die kitschbedrohten lyrischen Traummonologe, die ihm Klimke geschrieben hat, meistert er, Protokolle eines letztendlichen Wunsches nach Verschmelzung mit der menschenlosen Natur.

Bei so viel Autismus kann auch das angeblich heile Anifer Familienleben mit Eliette und den Töchtern nicht ausgespart bleiben. Ein böses, aber wahres Meisterstück: Zwischen Bügelbrett und Notenpulten schwadroniert Madame, in der einen Hand das Bügeleisen, in der anderen das Whiskyglas, beschwipst über ihren „Erbert“, während die wohlstandsverwahrlosten Töchter auf dem Sofa herumhängen und, wenn sie aufmucken, mit scharfem Pfiff zum Schweigen gebracht werden.

Geht’s noch böser? Es geht, und zwar auf gut Kresnik’sche Art in den Analbereich. Schauplatz: „Der goldene Hirsch“, Stammtisch der Salzburger Mythos-Karajan-Abzocker bis heute. Die niederträchtige Trachtengesellschaft, die dem Misanthropen nie verzieh, dass er keiner der ihren wurde, lässt die Sau raus. Unter einem Riesenkruzifix schlürft man ein rosa Partygetränk, das aus dem Glied eines nackten Jünglings mit HirschgeweihHelm gezapft wird, und erzählt sich dabei Schwulentratsch über den Maestro. Später – der Ehrensalzburger Thomas Gottschalk hat sich dazu gesellt – zieht man unter dem Körper des bereits auf den Tod Gebrechlichen eine Riesen-Pampers hervor und löffelt genussvoll die Nutellascheiße.

Das Salzburger Premierenpublikum nahm die Gabe übrigens abgebrüht amüsiert, als sei es nicht gemeint. Dabei hatte es gerade, ja, doch, einen substanziellen Beitrag zum sonst so lustlos-pietätvoll absolvierten Karajan-Jahr erlebt.

Andres Müry

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