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Theater: Die Einsamkeit der Bilder

Nach Filmen und Operninszenierungen ist er nun wieder auf der Sprechtheaterbühne: Patrice Chéreau inszeniert im Louvre einen "Traum im Herbst".

Den Louvre kennt der Sohn eines Maler-Paares schon seit seiner Kindheit. Seine Ausbildung zum Abbilder exemplarischer Menschheitszustände, Passionen und Kämpfe hat Patrice Chéreau also aus der Malerei empfangen. Jetzt hat der große französische Bilderspeicher im Herzen von Paris den Theater- und Filmregisseur eingeladen, um unter dem Titel „Les Visages et les Corps“ über den Einfluss Auskunft zu geben, den Gesichter und Körper der Malerei auf die Handschrift des Regisseurs haben. Höhepunkt der Veranstaltungsreihe ist Chéreaus Inszenierung von Jon Fosses „Traum im Herbst“.

Der Weg zum Salon Denon führt vorbei an klassizistischen Historienmalereien des Jacques-Louis David, Ewigkeitsmenschen in der Pose schier unendlicher Kraft. So als gelte es, Jon Fosses verhuschte Gegenwartsmenschen und allen voran den unentschiedenen, nur eben als „Mann“ bezeichneten Theater-Protagonisten hierzu in Kontrast zu stellen, erfindet der Regisseur vor jedem Wortwechsel ein Eingangsbild: Pascal Greggory schlurft auf die Spielfläche, legt seinen Mantel auf einer Bank ab und eine Zeitung zu seinen Füßen. Dann legt er sich auf den Boden, den man sich im Fosse-Stück als einen Totenacker vorzustellen hat und wird zum Friedhofspenner. Dann kauert sich die von Valeria Bruni Tedeschi verkörperte „Frau“ zu ihm, bevor beide aufschrecken und auseinanderstreben.

Immer wieder hat Chéreau dieses Paar, das sich nie finden wird, in Ritualen der Annäherung choreographiert. Durch die fünf Flügeltüren können die Figuren immer wieder in die Weite von drei angrenzenden Sälen ausweichen und ins Geschehen zurückkehren. Anders als in der leise hingehauchten Inszenierung von Luc Perceval mit den Münchener Kammerspielen 2001, setzt Chéreau auf den Gefühlsausbruch und das Ausspielen der Konflikte. Der schärfste von ihnen trennt den „Mann“ von seiner Mutter; seine Beziehungsunfähigkeit wurzelt in der Flucht vor der Macht alles Weiblichen.

Chéreau reichert das karge Stück des Norwegers mit allegorischem Beiwerk an. So sind bei ihm auch bereits gestorbene Figuren präsent, oder solche, von denen nur die Rede ist: Die verstorbene Großmutter geistert durch den Raum, der mit zwei Bänken und Stühlen ausgestattet ist. Der Sohn des geschiedenen Mannes stürzt ins Geschehen, als Mann und Ex-Frau sich festhalten und aneinander zerren, um die gescheiterte Beziehung endgültig zu lösen. Im Zeitraffer verdichtet das Stück eine Biografie des Scheiterns, interpunktiert von den Todesmeldungen der männlichen Familienangehörigen. Erst Vater, dann Sohn, dann der Mann selbst.

Die Zeitmaschine Friedhof lässt nur Frauen zurück. Sie erleben Zeit anders als Männer, für die sich das Leben in eine Chronik reiht. „Nichts ist lange her“ schimpft die Ex-Frau Gry und mit ihr scheinen alle Muttergottheiten gegen den zerstörerischen Nihilismus der Männer zu behaupten, dass alle ihre Geschöpfe für immer da und nie vergangen sind.

Die Schauspieler lassen an dem Charakter ihrer Figuren keine Zweifel aufkommen: Bulle Ogier spielt eine immerfort vorwurfsvolle Mutter. Ihr unerschütterliches Gespür für das rechte Verhalten ist auch für ihren geradezu auffällig normalen Mann schwer zu ertragen. Valeria Bruni Tedesschi spielt eine verhuschte alleinstehende Frau, die mit scheuen Gesten Kontakt sucht zu einem Mann, dem sie immer schon nahe sein wollte. Pascal Greggory schließlich lässt alle Annäherungsversuche an einer Griesgrämigkeit abprallen, einer Verdruss-Fassade, in der sich nur selten emotionale Risse auftun. Mit Patrice Chéreau hat er einmal vor vielen Jahren auf einer Bühne gestanden: In Bernard-Marie Koltès’ „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“, als Chéreau noch regelmäßig Autoren der Gegenwart inszenierte, als ihm das Theater noch sehr viel mehr bedeutete.

Jetzt, nach Filmen und Operninszenierungen, ist Chéreau auf der Sprechtheaterbühne, für die er in diesem Jahrzehnt außer Kleinstprojekten nur einmal mit Racines „Phèdre“ arbeitete, an den großen Gestus und die Gefühlsemphase gewöhnt. Das Zarte in Fosses Stück ist bei ihm nur in der Melancholie des Soundtracks zu spüren. Etwas scheint nicht aufzugehen in dieser Fusion aus unsterblicher Kunst und theatralischer Vergänglichkeit. Chéreaus kräftige Pinselstriche wollen nicht ganz zu den luftigen Pastellfarben von Fosses Traum im Herbst passen.

Für weitere Aufführungen im Dezember wird der Bühnenbildner Richard Peduzzi den Museumsraum nachbauen und auf der Bühne des Théâtre de la Ville installieren. Vielleicht findet die Aufführung dann eine Poesie der dritten Ebene.

Eberhard Spreng

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