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Fünf Kinder von vier Vätern. Die Patchworkfamilie trainiert Problemlösungsstrategien in Ramallah Aubrechts Bühnenbild.

© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Theater: Jeder darf ausreden!

Ab auf die Couch: Die Dokumentarfilmerin Bettina Blümner lädt im HAU 3 zum "Familienrat" - und zu einem Psycho-Parlando mit Authentizitätsnachhall.

Wenn das Wort Familie fällt, fährt man ja in Gedanken die Couch aus. Weil’s das identitätsstiftende Gemütlichkeitsmöbel für die seltenen Momente harmonischen Miteinanders ist, auch Fernsehen genannt. Und weil jede Familie auf die Couch gehört, wegen ihrer diversen Neurosen, Zwangsstörungen und Verdrängungen. Insofern ist es nur konsequent, dass in Bettina Blümners Stück „Der Familienrat“ am HAU 3 die sechs Spieler auf einer verlängerten Couch Platz nehmen (Bühne: Ramallah Aubrecht). Dort lassen sie unter einem überdimensionierten Lampenschirm die Schieflagen ihres Beziehungsgefüges ausleuchten.

Der Familienrat ist dabei keine sozialsatirische Theaterfantasie, sondern ein Projekt des Berliner Jugendamts, das gerade die Testphase hinter sich hat. Die Mediationsmethode stammt aus Neuseeland, wo sie als „Family Group Conference“ erfunden wurde, um Maori-Clans unter Berücksichtigung ihrer spezifischen kulturellen Werte helfen zu können. Das Konzept funktioniert aber auch hierzulande: Das Jugendamt beauftragt bei Akutkrise einen Koordinator, der die Familienmitglieder zusammentrommelt. Ein Experte hält der versammelten Sippe einen Vortrag zum jeweiligen Konfliktthema, danach beginnt die eigentliche Schweiß- und Fleißarbeit. Die Familie begibt sich in Klausur und entwickelt Problemlösungsstrategien, was lange bis sehr lange dauern kann.

Bettina Blümner hat als Dokumentarfilmerin eine Reihe solcher Familienräte begleitet und aus dem Material einen 70-minütigen Theaterabend destilliert, der Namen und Fakten so weit wie nötig verfremdet. Zur staatlich überwachten Selbstanalyse treten die Häusermanns an, eine Patchworkfamilie, die sich selbst nicht für eine solche hält, obschon Mama Sabine fünf Kinder von vier Vätern hat und Sohn Philipp am Telefon erfahren musste, dass der Andi nicht sein leiblicher Papa ist.

Zur Debatte steht aber das Schwulsein von Sohn Mike, das nicht zu dessen Zufriedenheit aufgenommen wurde, sondern im allgemeinen Ich-habe-meine-eigenen-Sorgen-Geschrei unterging und vom Vater mit einem „Wir waren ja alle mal jung“ weggelächelt wird. Also auf zur Ratssitzung mit Coming-out-Spezialist, unter Wahrung der drei goldenen Regeln: Wir konzentrieren uns auf die Zukunft! Wir machen uns gegenseitig keine Vorwürfe! Jeder darf ausreden!

Regisseurin Blümner ist eine feinfühlige und humorbegabte Beobachtungsvirtuosin, das hat sie spätestens mit ihrem Erfolgsfilm „Prinzessinnenbad“ über drei schlagfertige Berliner Teenie-Freundinnen bewiesen („Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi!“). Und sie belegt es neuerlich mit diesem Theaterdebüt. Ihr sechsköpfiges Stellvertreterensemble im Joggingchic der gehobenen Preisklasse stellt die Figuren nicht als Prekariatsneurotiker aus, sondern entspinnt ein durchaus sympathisches Psycho-Parlando mit Authentizitätsnachhall. Ab einem gewissen Zeitpunkt allerdings plätschert das – ohne weitere Experteneingriffe von außen – nur noch so vor sich hin. Ein bisschen zu viel Alltag fürs Theater.

Hebbel am Ufer 3. Wieder am heutigen Sonntag (16 und 20 Uhr) sowie Montag (20 und 22 Uhr).

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