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© Lieberenz/Bildbuehne

Theater: Karneval der Kleintiere

Das Ibsen-System: Michael Thalheimer schlachtet "Wildente“ am Deutschen Theater Berlin – der Zuspruch des Publikums ist dem Meister der Klassik-Inszenierungen schon so gut wie sicher.

Es ist nur ein paar Wochen her, da feierte Michael Thalheimer hier einen wahren Triumph. Er zwängte seine Schauspieler in einen nicht einmal mannshohen Bühnenkasten und quetschte aus Gerhart Hauptmanns „Ratten“ so viel Herzblut, Angstschweiß und Tränen heraus, dass man erschrak. Was immer Soziologen, Politiker und andere Berufene sich zum Thema Prekariat und Unterschicht zusammenfantasieren – dieser Theaterabend, der das Innenleben eines Berliner Mietshauses seziert, ist klug und von erbarmungsloser Härte.

Nun gibt es nicht nur bei publizistischen Lautsprechern, sondern leider auch bei Regisseuren eine professionelle Deformation. Michael Thalheimer inszeniert wie ein Serientäter. Vorsicht, wilde Tiere! Nach der „Fledermaus“ und den formidablen „Ratten“ jetzt die „Wildente“. Sein erster Ibsen. Es wird wohl wieder ein Erfolg am Deutschen Theater Berlin, das einen Publikumsrenner nach dem anderen produziert. Aber hier muss man einmal innehalten und fragen, warum das Thalheimer-Theater so populär ist. Was es so attraktiv macht. Und manchmal auch so unausstehlich.

Dafür liefert die „Wildente“ wunderbaren Anschauungsunterricht. Das Stück erzählt die Geschichte eines Wahnsinnigen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, „Lebenslügen“ zu entlarven. Dieser Gregers Werle, gespielt von Sven Lehmann, ist ein Teufel, der stets das Gute will und das Böse schafft. Ein idealistischer Idiot. Ein armseliger Satan. Lehmann scheint bei Thalheimer auf diese Rolle abonniert – als unheilvoller Prinz in „Emilia Galotti“, als Mephisto in Goethes „Faust“. Nur in den „Ratten“ ist er derjenige, der die vernichtenden Schläge einsteckt, grandios!

„Die Wildente“ aber hat eine andere Natur: Sie ist ein norwegischer Zuchtklon, ein Besserwisserdrama, triefend vor Moral. Gregers Werle zerstört die Familie seines Jugendfreundes Hjalmar Ekdal, gespielt von Ingo Hülsmann, Thalheimers Faust-Darsteller. Hülsmann & Lehmann: ein kampferprobtes Paar. Nur dass diesmal der Fight ausfällt. Die beiden Männer stehen von Anfang an herum wie angezählte Boxer. Die Aufführung hat noch gar nicht richtig begonnen, da weiß man es schon, steht es den Wildenten- Trainern breit ins Gesicht geschrieben – das tragische Ende. Hjalmar, der Traumtänzer, hüpft wie aufgezogen durch die Gegend, reckt den Hals, rollt die Augen, der bekommt nichts hin im Leben, die Diagnose ist klar. Ebenso bei Werle junior. Ein verdrossener, verblendeter Bursche. Lehmanns Körpersprache, immer die Hände an die Jackentaschen gepresst, lässt keinen anderen Schluss zu: Katastrophe!

Ibsens Dramaturgie hat in der „Wildente“ etwas Selbstparodistisches – so todsicher-mechanisch schiebt die Aufarbeitung einer dunklen Vergangenheit (das untergeschobene Kind! das schlechte Gewissen! das verräterische Geld!) das triste Personal auf den Abgrund zu. Und Thalheimer verstärkt noch das Aufdringlich-Offensichtliche, er unterstreicht knüppeldick, was Ibsen mit drei Ausrufezeichen versehen hat. Zum Beispiel die Waffe, mit der sich die kleine Hedvig Ekdal am Ende erschießt. Wenige Minuten dieses mit anderthalb Stunden nach der gefühlten Zeit doch recht langen Abends sind erst vergangen, da rutscht die Pistole theatralisch über die steile Bühne herunter an die Rampe und bleibt da liegen, bis sie gebraucht wird. Olaf Altmann hat eine gewaltige Drehbühnenlandschaft entworfen, man könnte sie später einmal für einen „Peer Gynt“ oder ein anderes Universaldrama recyclen. Und für diejenigen, die schwer von Begriff sind, hängt oben, wie eine Jagdtrophäe, zu Beginn auch schon Hedvig, das unschuldige Opfer.

Es ist wie bei einer Beweisaufnahme für Blöde: Der alte Werle, gespielt von Horst Lebinsky, tapert – die Rede ist immer noch von den ersten Minuten – halb blind, mit dicker Brille und ausgestreckten Armen sich vortastend, in die Kulisse. Schlechte Augen, Erbkrankheit! Hedvig ahmt seine Bewegungen nach – klar, der Alte ist der Erzeuger. Und deswegen muss sie auch immerzu verzweifelt „Vater! Vater! Vater“ schreien, wenn Hülsmanns Hjalmar mit bedeutungsschwerem Schritt die Szene betritt.

Dennoch: In dieser so verdammt kleinen Welt dämlicher Männer – auch der herzensgute Dr. Relling von Peter Pagel ist irgendwie nicht wirklich geistig anwesend – halten die Frauen so etwas wie Würde hoch. Henrike Jörissen, das Kind, kann einem das Herz zerreißen, trotz der Werle-senior-Brille, mit der sie herumlaufen muss. Und Almut Zilcher als Gina, Hedvigs Mutter, Hjalmars Frau und des alten Werle Ex-Geliebte, entwickelt am Ende einen wilden Trotz. Ihr sind die Männer alle zuwider. Gina ist die einzige Figur, die hier überhaupt eine Art Entwicklung durchmacht. Die anderen sind immer schon fix und fertig, a priori.

Und deshalb kann man zwar sagen, dass Thalheimer hier zum ersten Mal Ibsen inszeniert. Im Grunde aber hat er schon unzählige Stücke wie Ibsen auf die Bühne gestellt. Thalheimer ist der Ibsen unter den Regisseuren – wie er Indizien streut, Charaktere zerlegt, sein dramaturgisches Präzisionsuhrwerk in Gang setzt. „Die Wildente“ wird damit zum Nullsummenspiel. Eindrucksvoll durchchoreografiert – und von einer geradezu grotesken Gefühlskälte. Bei Thalheimer geht so gut wie nie etwas schief. Bei ihm stimmt immer fast alles. Er hat die Bühnenweltliteratur fest und sicher im Griff. Genau das ist das Problem. Man will zur Abwechslung mal sehen, wie der Dompteur von seinen Wildtieren gefressen wird.

Wieder am 9., 13., 18. 2. sowie am 1. 3.

Rüdiger Schaper

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