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Von Kopf bis Fuß ein Biest. Swetlana Schönfeld als Grete, umgeben von einer Kleinbürgerhölle. Foto: Michael Brunner, DAVIDS

© DAVIDS

Theater: Kloake der Sehnsüchte

Der österreichische Punk-Dramatiker Werner Schwab schuf 1990 mit seinem Stück „Präsidentinnen“ einen Klassiker über die Abgründe des Kleinbürgertums. Am Berliner Ensemble feiert das "Fäkaliendrama" nun dank seiner Hauptdarstellerinnen eine furiose Wiederauferstehung.

Werner Schwab wusste schon, was ihm blüht. Auf die Frage, welche Strategie er für die Zukunft habe, antwortete der Dramatiker zwei Jahre vor seinem frühen Tod mit der Schicksalsergebenheit des Gefeierten: „Ja, meine Güte, die einzige Strategie, die’s jetzt noch geben kann, ist, in aller Ruhe und gemessen zum Klassiker zu mutieren.“ Genau so ist’s dem österreichischen Punk unter den Wortmusikern widerfahren: In Rekordzeit kanonisiert, kaum, dass er sich mit 4,1 Promille ins Jenseits befördert hatte. Einverleibt von genau jenem Bürgertum, das er in seinen Stücken so wunderschön durch den Morast aus Heuchlermoral und Hinterfotzigkeit paradieren ließ.

Am Berliner Ensemble hat nun Günter Krämer „Die Präsidentinnen“ ausgegraben, eines der Fäkaliendramen des Sprachberserkers, uraufgeführt 1990 in Wien und damals noch standesgemäß verschmäht. Schwab versammelt darin drei fromme Proletinnen in einer mit Devotionalien vollgestopften Wohnküche, wo das fatale Gemisch aus Glaube, Liebe , Hoffnung aus ihnen heraussprudelt wie eine Kloake der Sehnsüchte.

Den Ton geben die Mindestpensionistin Erna und die Vollpensionistin Grete an, gealterte Furien vor dem Herrn, ganz gallig vor Enttäuschung über die eigenen Kinder, weil die sich abwenden „vom Leben und von der Menschlichkeit“. Ernas Sohn Herrmann zum Beispiel weigert sich, „einen Verkehr zu haben“, wie er per Postkarte mitteilt, obwohl er könnte. So wird das nichts mit dem Enkel. Grete hat’s auch nicht leichter, ihre Tochter Hannelore lebt in Australien und hat sich „ausnehmen lassen wie ein Hendl, die Eierstöcke und was weiß ich“. Und zwischen diesen beiden Scharteken irrlichtert als Jüngste im Bunde die Mariedl umher, eine Heilige der Klosettschüsseln, die beherzt noch in den finstersten Abort greift, „weil wenn der Herrgott die ganze Welt angeschafft hat, dann hat er auch die menschliche Jauche erschaffen.“

Wo Schwab sich also tief in die Niederungen des Begehrens versenkt und in den Auslassungen der Kleinmütigen und Beschränkten eine ureigene Gossen-Poesie entdeckt, fällt Regisseur Krämer und seinem Bühnenbildner Jürgen Bäckmann nicht mehr ein, als dem Text ein Theatermuseum zu bauen. Herum stehen ein biedermeierlicher Garderobentisch, ein Schrank mit eingelassenem Aquarium, ein Vogelkäfig und ein Klo, dessen Deckel fernsteuerbar auf- und zuklappen kann. Und im Hintergrund, vom Gazevorhang umhüllt, erstreckt sich eine pittoreske Landschaft aus weißem Plastikmüll, auf die es zu allem Überfluss noch schneit. Das Ambiente ist so clean, dass man fürchten muss, es könnte von den Schwab’schen Unflat-Sätzen beschmutzt werden.

Dass der Abend trotzdem nicht im kunstgewerblichen Kitsch versinkt, ist den drei furiosen Schauspielerinnen zu verdanken, die sich in den bis zur Zerfleischung forcierten Rausch aus Religiosität, Geilheit und Kleinbürgermuff schrauben. Carmen-Maja Antoni spielt Erna als bigotte Discounter-Domina, ganz verstopft vor Lebensekel. Swetlana Schönfeld gibt die Dackel-Dompteuse Grete mit beklemmend ausgreifender Selbstzufriedenheit. Und Ursula Höpfner-Tabori – die schon 1994 am Wiener Akademietheater als Mariedl auf der Bühne stand – wirft sich hingebungsvoll in die entrückten Tiraden der Abort-Königin. So gespielt, wird Schwab als Klassiker erträglich.

Wieder am 16. und 31.1., 20 Uhr

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