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Kasper

© Schaubude

Theater: Lasst Knüppel sprechen!

Das Berliner Figurenfestival „Alles Kasper!“ feiert einen Anarchisten. Ob depressiv, freudianisch-aufgeheizt oder geizig - der Kasperle eignet sich für die Darstellung jedweder Eigenschaften.

Die meisten kennen ihn heute bloß als ulkigen Kerl, der den Kindern das Zähneputzen beibringt. Oder die Verkehrsregeln. Aber dieser Pädagogen-Kasper ist nur der fade Abglanz seines wahren, aufmüpfigen Selbst, seines volkstümlichen Charakters als Obrigkeitsspötter, Raufbold und Todesverächter. „Die anarchistischste Figur, die es im Puppentheater gibt“, sieht Silvia Brendenal in diesem Hanswurst-Nachfahren, der immer feste draufhaut und stets damit durchkommt. Brendenal, als künstlerische Leiterin des Berliner Figurentheaterzentrums „Schaubude“ erprobt im Kampf gegen Kasperletheater-Klischees jeder Art, hat beschlossen, den Hallodri-Ruf des Herrn K. zu retten – mit schlagendem Erfolg. Ihr internationales Figurenfestival für Erwachsene „Alles Kasper!“, das sie zusammen mit Uta Schulz vom Theater o.N., ehemals Zinnober, auf die Beine gestellt hat, zeigt einen staunenswerten State-of-the-Art im Tri-Tra-Trallalla-Genre, vom brasilianischen Mamulengo bis zum russischen Petruschka.

Anfang der 80er-Jahre in der DDR erlebte Silvia Brendenal nach eigenem Bekunden eine „Wiedergeburt der Kasperfigur“, die sie bis heute fasziniert und die einen entscheidenden Anstoß fürs Festival gab: „Jäger des verlorenen Verstandes“ hieß die Zinnober-Inszenierung, die damals auf brisante Weise das Aufbegehren gegen erstickende Gesellschaftsverhältnisse beschwor. „Ich frage mich immer noch“, sagt Brendenal, „wie es der Gruppe damals gelungen ist, die Inszenierung an der politischen Zensur vorbeizumanövrieren.“

Das subversive Potenzial des Kaspers ist im gegenwärtigen Konsens-Deutschland zwar kaum unter Beweis zu stellen, die ungebrochene Vitalität des harlekinesken Helden aber sehr wohl. „Kasper tot. Schluss mit lustig?“ – so kokettiert Ernst-Busch-Absolvent Lutz Großmann in seiner furios-kabarettistischen Eröffnungsinszenierung. Sein sächselnder Handpuppen-Kasper, phänountypisch ohne roten Säuferzinken, dafür mit feinen bleichen Zügen versehen, leidet an Depressionen, der Klimawandel drückt ihm aufs Gemüt. Zudem haben Tod und Teufel eine Intrige ausgeheckt und das Textbuch der ach so bekannten „Seid ihr alle da?“-Geschichte umgeschrieben, um endlich einmal als Sieger aus dem Spiel hervorzugehen. Sie gaukeln dem armen Kerl einen Gehirntumor vor. „Was soll ich bloß tun?“, fragt der zerquälte Kasper. „Geh in die Charité!“, ruft’s aus dem Publikum. Es ist das einzig legitime Mitmachtheater. Im Zuge irrwitziger Metavolten steigt Kasper schließlich ins eigene Unterbewusstsein hinab, wo die Liebe zum Gretchen und sein Knüppel, im Fachjargon Pritsche, begraben liegen, und gewinnt wieder die Oberhand.

Einen Kasper auf der Couch erlebt man auch in der freudianisch-aufgeheizten Erotik-Extravaganza „Ich habe gerade eine Frau gegessen“ des Österreichers Christoph Bochdansky. Ein Mieder rülpsendes, fleischeslustiges Krokodil erzählt darin vom ewig lockenden Weib: Kasperl und der Leibhaftige machen sich auf den Weg zu jener „Riesin“, die man aus Baudelaires „Blumen des Bösen“ kennt. Derweil führen Kasperls Schwanz und des Teufels Herz, zwei ganz bezaubernde Plüschpüppchen, ihr redseliges Eigenleben. Sehr amüsant, sehr österreichisch.

Überhaupt lebt dieses Festival vom Ländervergleich, von den regional fein verästelten, noch immer blühenden Traditionslinien, die teils – wie im Falle des italienischen Pulcinella-Spiels – bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Die Ursprünge des Slapsticks, des Schlagstock-Humors also, sind hier zu bewundern, und ja, diese moralisch hartbesaitete Welt, in der Probleme mit dem Knüppel gelöst werden, sie hat etwas sehr Erfrischendes.

Der Kasper-Kosmos ist eine Männerwelt, eine durchaus misogyne. Aber die Frauen beherrschen das Spiel. Wie Iduna Hegen, die in Gabriele Hänels Theater-o.N.-Inszenierung „Allet Mütze“ ganz irrwitzig ein modernes Gretchen auf dem Ökohof belebt. Oder die Französin Paz Tatay, die in der Moritat „Der Tod des Don Christobal“ mit unfassbarer Fingerflinkheit vom geizigen Geldsack Christobal und seinem gierigen Weib erzählt, was eine Sternstunde cartoonesker Kapitalismus-Kritik und wirklich zum Totlachen ist. Es lebe Kasper.

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