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Theater: Lobkowitz schweigt

Bewegend: George Taboris "Mein Kampf" am BE. Regisseur Hermann Beil hat weniges, dies aber richtig gemacht.

In George Taboris letzter Inszenierung – das Stück hieß „Gesegnete Mahlzeit“ – hatte der Berliner-Ensemble-Dramaturg Hermann Beil sogar mitgespielt. Und eine „Mein Kampf“-Kochmütze getragen. Außerdem musste er, im Mai 2007, auch die Probenleitung übernehmen, weil der über 90-jährige Tabori schon so schwach war, dass er seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Nach der Premiere wurde Tabori über Video in den Saal geschaltet, und man sah einen hageren Herrn mit schlohweißem Haar, der milde lächelnd Standing Ovations entgegennahm.

Einige Wochen später war George Tabori tot. Und seitdem wird am Berliner Ensemble aufs Rührendste seiner gedacht. Martin Wuttke inszenierte „Pfft. Oder der letzte Tango“. Thomas Langhoff, dessen „Mein Kampf“-Inszenierung zehn Jahre auf dem Gorki-Spielplan stand, brachte die „Goldberg-Variationen“ mit Götz Schubert heraus. Autoren, die es einmal ins Herz geschlossen hat, bleibt das Berliner Ensemble treu.

Kein Wunder also, dass Hermann Beil für seine erste Regiearbeit in Berlin Taboris „Mein Kampf“ gewählt hat, diese „Farce“ aus dem Jahr 1987, in welcher der jüdische Buchverkäufer Schlomo Herzl dem jungen Hitler bei der Hitlerwerdung behilflich ist. Die Kochmütze Lobkowitz’, des arbeitslosen, sich für Gott haltenden Kochs, trägt jetzt Martin Seifert. Er sitzt in einem Wiener Männerasyl, das Karl-Ernst Herrmann mit spartanischen Betten und einem altertümlichen Ofen auf die Probebühne gebaut hat, und bläut Michael Rothmann als Herzl ein paar Lebensweisheiten ein: „Du bist dumm geblieben, weil du dir zu viel Sorgen machst.“ Herzl lässt die Beschimpfungen gnädig über sich ergehen. Er hat ein großes Herz und – weil er sich für die Verhaftung seines Vaters verantwortlich fühlt – ein tiefes Schuldgefühl. Gleich wird Jörg Thieme als Adolf Hitler in die Pension stürmen und Herzls väterlicher Masochismus sich dem jungen Mann aus Braunau zuwenden. Er wird ihm beibringen, dass man klopft, bevor man einen Raum betritt. Er wird ihm einen Mantel leihen, seinen Schnurrbart stutzen und dem von der Kunstakademie Verschmähten sogar raten, in die Politik zu gehen. Umgekehrt wird Hitler ihm die Freundin ausspannen, ein Manuskript mit dem Titel „Mein Kampf“ stehlen und sein Huhn Mizzi morden. Am Ende wird Herzl weinen, während Hitler von Frau Tod abgeholt wird, nicht um zu sterben, sondern um ihr beim Massenmord zu assistieren. Und Lobkowitz, also Gott? Schweigt und verspeist das Brathendl, in das ein Scherge Hitlers Herzls Haustier verwandelt hat.

Beil hat als Regisseur weniges, dies aber richtig gemacht. Dazu gehört, dass der Abend auf der kleinen Bühne spielt, wo man ein Kammerspiel erwartet. Dazu gehören auch die Schauspieler: Michael Rothmann gibt Herzl als tapfer Gebrochenen, der das Leid und das Wissen von Generationen auf den Schultern trägt und Hitler die stinkenden Socken mit fataler Gutmütigkeit hinterherräumt. Jörg Thieme karikiert Hitler mit den üblichen Mitteln – aber so wohldosiert, dass nicht nur der Größenwahn, sondern auch die Gefühlshilflosigkeit eines ungeliebten Kindes durchscheint. Überhaupt besticht der Abend durch seinen so angemessenen Erzählton: Das Groteske wird nicht übertrieben, also steigert sich die Bitterkeit fast unbemerkt – und entlädt sich in dem zu Herzen gehenden, grausamen Moment, in dem Hitler Herzl zur Preisgabe des ungeschriebenen Buchtextes zwingt. „Am Anfang war nicht das Wort“, sagt Herzl, „sondern die Flucht in den Walzer.“ Musik. Und wie auf Befehl fangen Hitlers Helfer an, Walzer zu tanzen.

Dass diese wenig spektakuläre, ja demütige Inszenierung wie einst Langhoffs Version zum Theatertreffen eingeladen wird, ist unwahrscheinlich. Eine lange Spieldauer aber ist auch ihr gewiss.

Wieder am 15. und 24. März sowie am 4., 8., 11. und 24. April.

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