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Martin Wuttke

© ddp

Theater: Luft und Liebe

Tango mit Wuttke: Das BE erfüllt George Taboris letzten Wunsch.

Es liegt etwas Festliches und Betretenes in der Luft. Wie bei einem Jubiläum. Oder einer Trauerfeier. In der Mitte des Foyers des Berliner Ensembles, das kein Foyer, sondern eine festliche Halle mit Kronleuchtern und bauchigen Säulen ist, steht eine riesige Tafel, dreimal fünfzehn Meter vielleicht. Ungedeckt. Drumherum, auf Samtstühlen und Bänken, sitzen die Gäste. Es ist schon acht, aber der Strom der weitgereisten Gefährten will nicht abbrechen. Theaterhistoriker aus Frankfurt, Regiegrößen aus Wien, ehemalige oder amtierende Intendanten huschen herein. Vorne sind noch einige Plätze frei, aber nein, hier hinten geht es auch. Man möchte lieber nicht so nah an die Tafel heran, an diese große leere glänzende Fläche, in der sich der Theaterhimmel spiegelt – also möglicherweise das belustigte Auge George Taboris.

Tabori ist zwar am 23. Juli dieses Jahres verstorben, aber bei ihm weiß man nie. Bei der Premiere seines letzten Stückes „Gesegnete Mahlzeit“ vor einem guten halben Jahr war der abwesende kranke Mann über eine Videoübertragung in seine Wohnung dabei. Am Ende gab es stehende Ovationen vor einer Kamera. Jetzt, bei der Uraufführung von „Pffft oder der letzte Tango am Telefon“, ist Taboris Anwesenheit auch mit Händen zu greifen. Es war einer seiner letzten Wünsche, dass Martin Wuttke die Einrichtung des Stückes übernehmen und die Hauptrolle spielen sollte.

Plötzlich ist aber nicht Wuttke da, sondern acht Frauen stehen auf der Empore, antike Umhänge, Masken vor dem Gesicht, und unterlegen die profane Geschichte – Mann liebt herzlose Frau – mit mythisch anmutender Großdramatik. Erst dann stolpert Wuttke aufs rutschige Tischparkett, mit Toupet und getönter Brille, im lächerlichen Karoanzug des Machoclowns. Wie erleichternd! Ein Woody-Allen-Einstieg. Hampelmann vor steinernem Frauenchor. Die Konstellation kennt man nicht nur aus dem lustigen Film „Mighty Aphrodite“, sie lässt an diesem Abend auch erst mal den hohen Beklemmungsdruck ab.

Also: A liebt B, auch Frau O genannt, wohnhaft in England. Einst begegneten sich die beiden in einer Telefonzelle und verfielen sich sofort: A liebte und wurde „weich und wuschig“ zurückgeliebt! Inzwischen ist aber nur noch A verfallen, zum psychischen Wrack nämlich, das vergeblich auf den Anruf der Geliebten wartet, die ihre libidinöse Aufmerksamkeit längst einem anderen zugewandt hat.

Viel Zeit also für Geschichten aus dem Dämmerreich der Liebesidiotie, Gedankenspiele zur Geometrie des Begehrens und böse Auschwitz-Kalauer. Im Zentrum des Monologes steht der aberwitzige und naturgemäß zum Scheitern verurteilte Versuch, dem Finanzamt die horrenden Reise-, Blumen-, und Hotelkosten, die von der Affäre verschlungen wurden, als Rechercheaufwand für einen Essay über Mann und Frau unterzujubeln.

Wuttke spielt diesen Ohnmachtswüterich als x-beinigen, hypernervösen, stammeln- und stotternden Kamikazeschwärmer, der sich ohne Rücksicht auf Verluste in jede Zurückweisung stürzt und dabei mit koboldhaftem Triumph die Sentenzen präsentiert, die das Leiden wenigstens sprachlich abwirft: „Ich könnte jederzeit Heidegger im Angstspiel schlagen, fünf zu eins.“ Und als wollte er noch einmal die unterschiedlichen Facetten von Taboris Humor würdigen, führt er eine Charlie-Chaplin-hafte Choreografie zum Klingeln diverser Telefone auf und lässt den Sensenmann erscheinen – aus dessen Ärmel es gespenstisch raucht. Das kleine Drama entstand schon 1981 und blieb 25 Jahre ungespielt. Nun hinterlässt das „Pffft“, mit dem im Stück die Luft aus dem Liebesballon entweicht, eine ganz andere Stille.

Wieder am 18. und 22. 11. und 2. 12.

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