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Hans Wurst Nachfahren

© Kai-Uwe Heinrich

Theater: Plan B existiert nicht

Wie drei freie Theater, denen eine Jury die Subventionen nehmen will, ums Überleben kämpfen.

Man könnte die Geschichte dreier Theater erzählen, die um ihre Existenz bangen müssen, weil sie zum Opfer willfähriger Kulturpolitik zu werden drohen. Und man läge damit nicht völlig falsch. Aber eben auch nicht ganz richtig. Es geht um die Tribüne in Charlottenburg, das Orph-Theater in Mitte und das Puppentheater Hans Wurst Nachfahren in Schöneberg. Eine von der Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten eingesetzte Jury will ihre Subventionen drastisch reduzieren. Den drei Häusern soll die Basisförderung – das ist der Topf, aus dem die Mittel für Privattheater und freie Theater- oder Tanzgruppen stammen – genommen werden. Es ist eine Empfehlung der Jury, keine Entscheidung, die trifft in letzter Instanz der Kulturbürgermeister Klaus Wowereit. Es geht dabei gar nicht um viel Geld. Genau das ist das Problem.

Die Tribüne feiert in diesem Jahr ein zehnjähriges Jubiläum, das des ersten Senats-Gutachtens nämlich, das vorschlug, ihnen die Fördermittel zu streichen. Es wurde allerdings ebenso wenig befolgt wie die Empfehlung einer Evaluierungskommission, die 2005 der Tribüne attestierte, sie habe sich in einer „braven Mittellage der gepflegten Langeweile eingepegelt“, unterstützenswert sei das nicht mehr. Auch damals kam die Tribüne noch einmal davon, fiel allerdings aus der sogenannten Konzeptförderung, die vergleichsweise hohe Summen gewährt, und wurde der Basisförderung zugeschoben.

Thomas Trempnau, einer der beiden Geschäftsführer des Hauses, sagt, die Förderung mache „bis zu drei Viertel des Gesamtetats“ aus, der Wegfall würde das Ende der Tribüne bedeuten, „es gibt keinen Plan B“. Natürlich habe man auch Fehler gemacht, zwei Versuche, sich mit einer neuen künstlerischen Leitung zu profilieren, seien gescheitert, räumt er ein. Der jüngste davon sah so aus, dass Anna Langhoff wenige Tage nach der ersten von ihr verantworteten Premiere gefeuert wurde. Jetzt aber, sagt Trempnau, sei man auf einem guten Weg. Das Musical „Irma La Douce“ laufe erfolgreich, außerdem greife man auch politische Themen auf, etwa die NS-Euthanasie mit dem Stück „Tiergartenstraße 4“. Ein Argument, von dem die Jury sich nicht beeindrucken ließ: „Der mit der Premiere von ‚Tiergartenstraße 4’ konstatierte neuerliche Neuanfang – der dritte in zwei Jahren – wird nicht nachvollzogen“. Das Konzept der Tribüne sei nicht zukunftsfähig: „Unterhaltsame und ernstere Stoffe werden in ähnlicher Weise gemischt wie schon seit Jahren.“

„Die Jury ist inkompetent“, sagt Matthias Horn, der Leiter des Orph-Theaters, dessen Antrag auf 60 000 Euro Förderung abgelehnt werden soll, er ist der Einzige, der es unumwunden ausspricht. Die Vorwürfe allerdings, die Trempnau, Horn und auch Barbara Kilian vom Theater Hans Wurst Nachfahren erheben, gleichen sich. Die Jury habe viel zu wenig gesehen, ihre Beurteilungen seien beliebig – wogegen Jury-Mitglieder einem aufrechnen, wie viele Aufführungen sie besucht haben. Und wie es überhaupt angehen könne, dass Theaterkritiker in der Jury säßen, die doch teilweise positiv über die Inszenierungen geschrieben hätten? Ein haltloser Vorwurf, finden die Journalisten Ute Büsing und Gerd Hartmann, die damit gemeint sind: „Kritiker werden berufen, weil sie von Hause aus viel sehen.“

Keine Frage, die Jury macht sich angreifbar, weil sie über keine objektiven Kriterien für ihre Arbeit verfügt, nur ein paar allgemeine Richtlinien sind in den Förderanträgen festgeschrieben, etwa, dass die Antragsteller über ein „erkennbares künstlerisches Entwicklungspotenzial“ verfügen sollen. Entsprechend erbittert wird über einzelne Formulierungen gestritten. Matthias Horn sagt, der „privatistische Zugriff auf gesellschaftliche Phänomene“, der ihm von der Jury vorgehalten werde, erinnere ihn an DDR-Zeiten. Er habe seinen Antrag auf Basisförderung bewusst offen gehalten und unter das Motto „Freiraum“ gestellt, „wahrscheinlich hätte ich irgendetwas erlügen müssen, um Geld zu bekommen“, aber er sei es leid „nach 18 Jahren Orph-Theater Leuten, die das eh nicht verstehen, erklären zu müssen, was für eine Kunst wir hier machen“.

Wenn man Barbara Kilian, die Leiterin des Puppen- und Figurentheaters Hans Wurst Nachfahren, dessen Zuschüsse halbiert werden sollen, mit dem Jury-Befund konfrontiert, ihr Theater sei „zu traditionsverhaftet“ und habe keine Anbindung „an die heutige Lebenswelt der Kinder“, schnappt sie vor Empörung nach Luft. „Eine Unverschämtheit“ sei das, dann erzählt sie von 27 Jahren erfolgreicher Theaterarbeit, ihren Verdiensten um den Kiez am Winterfeldtplatz, von begeisterten Kindern und der sensationellen Auslastung. Man merkt ihr die Verletztheit an, und ehrlich: Wer will sich schon sagen lassen, er mache seine Arbeit schlecht?

Audiatur et altera pars, das gilt auch hier. Matthias Horn sei mehrfach aufgefordert worden, sein Konzept zu präzisieren, sagt Ute Büsing. Bloß habe er das als Vorverurteilung verstanden, nicht als Chance. Zudem könne das Orph-Theater doch Einzelprojektförderung beantragen. Hans Wurst Nachfahren sei zwar eine West-Berliner Institution, meint Jury-Mitglied Dirk Scheper, aber eben nicht mehr zeitgemäß. Außerdem bekämen die ihre Miete vom Senat bezahlt, andere Theater nicht. Lediglich um eine finanzielle Gleichstellung mit Puppen- und Figurentheatern wie „Weites Theater“ oder „Theater auf der Zitadelle“ sei es ihnen gegangen. Horn und Kilian protestieren gegen diese Darstellung.

Scheper, der lange Jahre Sekretär der Abteilung Darstellende Kunst in der Akademie der Künste war, versichert: „Wir alle wissen, was es bedeutet, ein Theater nicht mehr zu fördern, und das erfüllt uns mit schweren Bedenken, das dürfen Sie mir glauben“, und man glaubt ihm das. Die Jury hatte über 68 Anträge zu befinden, 32 sollen bewilligt werden, zu verteilen waren pro Jahr ungefähr 2,3 Millionen Euro, das ist nicht viel. „Die freie Szene wird nicht so ernst genommen, dass sie tatsächlich existieren kann“, meint Matthias Horn. Und Ute Büsing sagt, noch jede vom Senat berufene Jury habe zu Recht beklagt, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichten. Der einzige Punkt, in dem sich hier alle einig sind.

Hans Wurst Nachfahren, Gleditschstraße. 5 (Schöneberg), „Aladin und die Wunderlampe“, ab 4 Jahre, am 29. Juni um 16 Uhr, 1., 2. und 3. Juli um 10 Uhr.

Tribüne, Otto-Suhr-Allee 18 (Charlottenburg), „Brechts geliebte Mitarbeiterinnen“, 29. Juni, 20 Uhr, letzte Vorstellungen von „Irma La Douce“ vor der Sommerpause, 2., 3., 4. Juli, 20 Uhr, 5. Juli, 18 Uhr.

Orph-Theater, Ackerstraße. 169/170 (Mitte), zur Zeit keine Vorstellungen.

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