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Komische_Oper

© Drama

Theater: Träum’ was Böses

Ab acht: Ravels „Das Kind und der Zauberspuk“ an der Komischen Oper versetzt einen Jungen in eine Phantasiewelt - dort lernt er, die Natur zu respektieren. Gleichzeitig verarbeiten Komponist und Sängerin ihre Kindheitstraumata.

Er hat die Bäume im Garten mit dem Taschenmesser verletzt, die Katze am Schwanz gezogen, Libellen aufgespießt, eine Fledermaus erlegt, die Teekanne hingeschmissen, Stühle zerbrochen und der Uhr die Zeiger ausgerissen. Die Mutter aber interessiert sich nur dafür, ob die Hausaufgaben gemacht sind. Sind sie nicht – dafür gibt’s Stubenarrest. Die Gelegenheit für Fauna, Flora und Interieur, sich an dem zerstörungswütigen Jungen zu rächen und den kleinen cholerischen Kerl in die Enge zu treiben.

In ihrem Einakter „Das Kind und der Zauberspuk“ von 1925 verarbeiten der Komponist Maurice Ravel und seine Librettistin Colette Traumata der eigenen Jugend. Alles um den Siebenjährigen wird plötzlich lebendig, Tiere, Pflanzen, ja selbst die Möbelstücke beginnen zu singen. Doch der Titelheld findet sich nicht im Märchenland wieder, im Gegenteil: Seine Umgebung setzt ihm zu, bis er schließlich verzweifelt nach seiner Mama ruft. Mit ihrem rettenden Auftritt verklingt das einstündige Stück pianissimo. Alles nur ein böser Traum.

Für die Neuinszenierung dieser „fantaisie lyrique“ an der Komischen Oper hat Mirella Weingarten einen magischen Bühnenraum entworfen. Wenn sich der bunt bemalte Vorhang hebt, sieht man – vor nachtblauem Rundhorizont – eine leicht nach vorn geneigte, kreisrunde Spielfläche, die bald wie von Geisterhand entschwebt und zum milchig leuchtenden Vollmond wird. Rätselhafte Gestalten umschwirren das Kind in roten Latzhosen (Elisabeth Starzinger), kahlköpfige Wesen, die in ihren weißgrauen Ganzkörperanzügen gleichzeitig elegant-elfenhaft und bedrohlich wirken und nur anhand dezenter Accessoires als Frosch oder Sitzmöbel, Kaminfeuer oder Nachtigall zu erkennen sind.

Von der holländischen Regisseurin Jetske Mijnssen zartfühlend bewegt, huscht das Solistenensemble der Komischen Oper über die Szene, Caren van Oijen und Peter Renz, Victoria Joyce und Herman Wallén, Carsten Sabrowski, Karen Rettinghaus und Vanessa Barkowski, Karolina Andersson, Herdis Jonasdottir und Stefanie Weiner, verstärkt durch Sängerinnen und Sänger des Ernst Senff Chores. In jeder Saison auf der großen Bühne eine Kinderproduktion herauszubringen, gehört zu den erklärten Zielen von Intendant Andreas Homoki. Ein konsequentes Werben um die Zuschauer der Zukunft, das über all dem Medienwirbel um die hier regelmäßig auftrumpfenden Skandalregisseure leicht übersehen wird – und doch auch einen guten Anteil daran hat, dass Homokis Haus von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ zum „Opernhaus des Jahres“ gekürt wurde.

So spukhaft-spannungsreich hier auch gespielt wird, so engagiert Kimbo IshiiEto sich mit dem groß besetzten Orchester um durchsichtiges französisches Klangkolorit bemüht, ein Restressentiment bleibt: Ist Ravels Oper überhaupt „für Kinder ab acht“ geeignet, wie die Musiktheatermacher von der Behrenstraße empfehlen? Wenn es Lesedramen gibt, Stücke, die vom Autor weniger für die Bühne als vielmehr für die häusliche Lektüre gedacht sind, ist dann „Das Kind und der Zauberspuk“ eine Höroper? Ein Stück, das man besser konzertant genießt, ja, bei dem wegen der teils doch recht spröden Gesangslinien vielleicht sogar die instrumentale Seite das Interessanteste ist, dank feinen Art-Déco-Raffinement in der Orchestbehandlung? War Ravel womöglich gar ein zweitklassiger Opernkomponist?

Kinder sind da toleranter. „Ich finde“, sagt das Mädchen vom Nebensitz beim Hinausgehen, zu seiner Mutter gewandt, „das war jetzt aber ziemlich kurz.“

Wieder am 24., 28., 29. Oktober, 4., 5., 18. November sowie 6. und 17. Dezember.

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