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Theater: Transitleben

Theater übers Fremdsein im Ballhaus Naunynstraße. Als eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg beim Bau einer Moschee in Berlin gefunden wird, begegnen sich an lauter versprengte Existenzen, die ihre Wurzeln suchen oder alles Zurückliegende begraben wollen.

Es herrscht Alarmstimmung in Berlin. Beim Bau einer Moschee wird eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, was dazu führt, dass die Vergangenheit sich Bahn bricht. Im Theaterdebüt des Filmemachers Hakan Savas Mican im Ballhaus Naunynstraße (Naunystr. 27, Kreuzberg) begegnen sich an einem heißen Tag vor Weihnachten lauter versprengte Existenzen, die ihren Wurzeln suchen oder alles Zurückliegende begraben wollen. „Der Besuch“ verdichtet lakonisch und bitter, melancholisch und witzig Momentaufnahmen flüchtiger Begegnungen zum Großstadtreigen. Gemeinsam ist den Figuren das Transitleben, die Ruhelosigkeit, das Migrantendasein, in welcher Form auch immer. Wie der alte Ihsan (Adolfo Assor) einmal sagt, dessen Tomatengarten vom Bankrott bedroht ist: „Ich war Gastarbeiter in Deutschland. Arbeiter bin ich nicht mehr, aber Gast bin ich immer noch.“

Regisseur Mican beweist in seinem selbst verfassten Stück ein Talent für fein skizzierte Menschen und pointierte Dialoge. Etwa wenn Melike (Sanam Afrashteh), die aus der Provinz geflohene Enkelin des Tomatengärtners, auf den Klarinettisten Eyal trifft (Alexander von Hugo), der seiner Mutter nach Israel folgen soll, und sie ihn fragt: Woher kommst du? „Meinst du, wo ich ge boren wurde? Wo ich aufgewachsen bin? Wo meine Eltern herkommen oder wo ich gestern war?“, fragt er zurück. Und sagt dann: „Eyal. Ich bin beschnitten.“

In einem Bühnenbild aus grellpinken Weihnachtsbäumen (Alexander Wolf) gewinnen Micans Szenen einen bestechenden Zug ins Surreale. Forciert durch die Auftritte von Janina Rudenska und Ninoschka Schlothauer, die im Stück als „Hunger“ und „Leid“ firmieren, in wechselnde Rollen schlüpfen und schon zu Beginn mit einer Berlin-Beschimpfung („Du bist die größte Hure des 20. Jahrhunderts“) einen rauen Ton vorgeben – „Monolog der Bombe“ betitelt. In ihnen verkörpert sich die Gewalt, mit der alle Figuren konfrontiert werden.

Demgegenüber stehen Momente von tiefer Zärtlichkeit, bedrückendem Geheimnis und unerfüllter Liebe, etwa zwischen Ihsan und Eyals Mutter Ada (Heide Simon). Wobei die persönlichen Sehnsüchte immer auch auf die politischen Zusammenhänge verweisen. Der Regisseur und sein Ensemble schaffen schlüssige, poetische Bilder für ein Gefühl, das Wanderer und Zuhausegebliebene gleichermaßen ergreifen kann – dass Heimat ein Ort ist, an dem noch niemand war. Patrick Wildermann

Wieder 16. bis 18.12., 20 Uhr.

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