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Theater: Volker Spengler: Anarchist und Engel

Er ist ein Abenteurer, und es ist ein Abenteuer, ihn auf der Bühne zu erleben: Volker Spengler zum 70. Geburtstag.

Wie kann man mit einer solchen Reibeisen-Steinbruch-Katerstimme so zärtliche Dinge sagen? Wie kann man sich mit einer solchen Curd-Jürgens-Einar-Schleef-Statur nur so grazil bewegen? Und wie um Himmels willen kann man so scharf und lustig zugleich aus großen Scheinwerferaugen blicken? Um das zu können, muss man Volker Spengler heißen. Wenn er die Bühne betritt, steht erst einmal alles still. Dann hat sich etwas ereignet.

Spengler gleicht einem Engel, einem gefallenen natürlich. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag, was aus drei Gründen seltsam ist. Zum einen gibt es immer etwas zu feiern, wenn er dabei ist. Zum anderen scheint Spengler der wandelnde Beweis zu sein, dass gesund leben nicht alles ist. Und obendrein wird einem schlagartig klar, dass man es bei diesem Schauspieler mit einem gewaltigen Stück deutscher Theater- und Filmgeschichte zu tun hat.

Fritz Kortner hat den jungen Mann Ende der sechziger Jahre für das Berliner Schillertheater entdeckt; zuvor hatte der 1939 in Bremen geborene Spengler mit Heinz Ehrhardt, Ida Ehre und Fritz Rémond Boulevard-Theater gespielt. Das gute Boulevard-Gen hat er nie verleugnet: auch eine Form von Anarchie. Und Spengler gehört zu den wenigen zuverlässigen Anarchisten, die wir im Theater haben. Er war in Frankfurt am Main engagiert, am TAT und am Schauspiel, damals, in der bewegten Zeit. In gleich elf Filmproduktionen von Rainer Werner Fassbinder hat er mitgewirkt, darunter „Satansbraten“, „In einem Jahr mit 13 Monden“, „Die dritte Generation“, „Berlin Alexanderplatz“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss.“

1989 war er dabei, als Christoph Schlingensief „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“ drehte: sozusagen die schmutzige Wahrheit, bevor die Geschichte später bei Eichinger im „Untergang“ clean und staatsmännisch wurde. Als er ein paar Jahre später am Berliner Ensemble (Regie: Peter Palitzsch) Brechts Saufkopp und Hurensohn „Baal“ spielte, stand er wunderbar neben sich. Als müsse er staunen über so einen antibürgerlichen Lebenswandel. Spengler besitzt ein seltenes Talent: Er ist immer da, wenn Außergewöhnliches passiert. In der legendären „Arturo Ui“-Inszenierung von Heiner Müller am BE verkörpert er den Gangster Giri (Göring). Und er gehörte zum Ensemble, als Günther Rühle 1985 am Schauspiel Frankfurt daran scheiterte, Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“ uraufzuführen.

Spengler ist ein Abenteurer, und es ist ein Abenteuer, ihn auf der Bühne zu erleben – in den letzten Jahren bei Frank Castorf (als H. C. Andersens Märchenfee!) und vor allem in René Polleschs Kuschel-Diskursen an der Volksbühne. Man muss sagen, er hat immer mit den Besten gearbeitet. Körpertheater, Regietheater, Schauspielertheater: Solche am Ende albernen Unterscheidungen gibt es bei ihm nicht. Boulevard und Avantgarde, hier werden sie eins. Heute also, man muss es zweimal sagen, um daran zu glauben, wird er 70. Chapeau! Rüdiger Schaper

Rüdiger Schaper

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