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Theater: Wir Tragiker

Harte Zeiten. Das Theater macht sie noch härter – und steckt in einer handfesten Komödien-Krise.

Die Griechen in der Antike hatten eine klare Quotenregelung. Bei den fünftägigen Panathenäen-Festspielen wurden am ersten Tag die Dithyramben vorgetragen, Chordichtungen zu Ehren des Orgiengottes Dionysos, darauf folgten am zweiten Tag fünf Komödien. Die restlichen Tage waren den Tragödienzyklen vorbehalten, die jedoch stets auch mit einem Satyrspiel abschlossen. Comic relief in Athen.

Tradition vollzieht sich lückenhaft, sie wird auch immer wieder neu verhandelt. Die griechische Tragödie ist eindrucksvoll durch die Zeiten gekommen, sie gehört zum festen Repertoire. Aber wo sind unterwegs die Komödien abgeblieben? Überall nur Ernst und Tragik, Lust auf Katastrophe, Appetit auf Apokalypse. Der Untergang des alles in allem doch angenehm gepolsterten Abendlands als kunstvolle Dauerwerbesendung.

Trends gehorchen allfälligem Wunschdenken. Und über Komik lässt sich schon mangels Masse schlecht streiten. Düster sieht es im Schauspiel aus. Auf den Spielplänen der Berliner Theater – repräsentativ für die gesamte Republik – sucht man Komödien mit der Lupe. Das Genre ist ein Totalausfall, der Befund bitter: In der Hauptstadt gibt es nichts zu lachen. Berlin mag sexy sein, aber Sex ist auch nur selten richtig komisch. Man kann es auch noch einmal anders sehen: Sex ist nie ein darstellerisches Problem für die Bühnen, aber Erotik kommt kaum vor. Und hört man Theaterbesucher mal lachen, handelt es sich eher um ungläubige Gluckser und Kiekser, die verschämt unterdrückt oder prononciert herausgedrückt werden.

Blättern wir durch die Spielplan-Leporellos. Peter Steins „Zerbrochner Krug“ am Berliner Ensemble? Die klassische deutsche Komödie. Hier eine dröge Dorftrottelei um Klaus Maria Brandauer, Kleist als Starvehikel. Bezeichnend auch die Eröffnung der Interimsspielzeit am Deutschen Theater mit Shakespeares „Was ihr wollt“. Wenn nicht alles täuscht, gehört das Stück zu jenen Verwechslungskomödien, die einen zum Wahnsinn treiben können. Michael Thalheimer aber warf seine Akteure in eine angestrengte Schlammschlacht.

Harte Zeiten sind das, und das Theater macht sie in vorauseilendem Elendsgehorsam noch ein bisschen härter. Es lässt kaum Lustbarkeiten zu; vielleicht demnächst in der Komödie am Kurfürstendamm, wo Katharina Thalbach „Wie es euch gefällt“ in Szene setzt. Sonst überall nur Comedians, bis zum Abwinken. Bis das Olympiastadion platzt. Aber Comedy ist nicht dasselbe wie Komödie. Weil Komödien – es ist eine Frage der Balance – am Ende nicht nur komisch sein wollen.

Sind Komödien so schwer? Nein, sie sind an den großen Häusern offenbar ein Ding der Unmöglichkeit. Thomas Ostermeiers „Room Service“ mit der „Kackbratze“ Kurt Krömer – Premiere war im Oktober 2007 – liegt zwar schon etwas zurück und unter einem dicken Mantel gnädigen Schweigens. Aber an den Folgen dieses verunglückten Experiments laborieren die Bühnen bis heute. Lebende Dramatiker, so es sie noch gibt, bearbeiten sowieso keine komischen Stoffe, Regisseure greifen da auch nicht so gern zu, weil man mit aktuellen Fragen leichter eine Inszenierung zusammenschraubt und auch schneller Karriere macht, und Schauspieler haben verlernt, komisch zu sein.

Übrigens gilt das mit wenigen Ausnahmen ebenso für das Tragische. Auch dafür ging das Sensorium weitgehend verloren. Zur vorherrschenden, alles überwölbenden Tonalilät des Schauspiels ist die Farce geworden. Das Farcenhafte funktioniert meist nur zynisch. Es hält Tragik, aber auch Komik am weit ausgestreckten Arm und lässt beide verschmachten.

In der Finanz- und Wirtschaftskrise, die jetzt hierzulande ankommt, gibt es das merkwürdige Phänomen einer Komödienkrise. Man kann das nur ahistorisch nennen. Denn bisher galten schwierige Zeiten wie die zwanziger oder dreißiger Jahre als reiches Biotop für Komödien und Revuen, für Entertainment, Show und Amüsement. Unterhaltung als depression food. Das wird oft als Ablenkung gegeißelt, obwohl Komödien keineswegs realitätsfern sind. Die schönsten Exemplare spielen backstage, im persönlichen und ökonomischen Chaos von Komödiantentruppen, die sich den Hintern abspielen, um ihr Publikum zu unterhalten und dem drohenden finanziellen Ruin zu entgehen. „Room Service“, ein Broadway-Stück aus dem Jahr 1937, gehört ebenso dazu wie die „Producers“ von Mel Brooks und „Kiss me Kate“ von 1948.

Barrie Koskies Inszenierung dieses Cole-Porter-Musicals an der Komischen Oper scheint die schlimme Komödienbaisse wie geschmiert zu widerlegen. Ein Abend, der Hoffnung macht. Und der mit Dagmar Manzel in der Titelrolle – am Deutschen Theater durfte sie so etwas offenbar nie spielen – auch wieder auf die allgemeine Malaise verweist. Eine Schauspielerin durchbricht an einem Opernhaus das ungeschriebene Gesetz, wonach Komödien nicht zeitgemäß seien.

Jetzt aber erst recht! Wir brauchen Komödien! Kleinteilige Problemdiskurse haben sich fürs Erste verbraucht. Die Globalisierung als Hintergrundrauschen für dramaturgische Versuchsanordnung eines Falk Richter verbreitet Ödnis. Das kennt man jetzt. Seltsame Asymmetrie: Das deutschprachige Theater hatte politisch zuletzt seine stärkste Zeit, als Krisen und Katastrophen überschaubar waren oder weit entfernt; in den siebziger und achtziger Jahren. Nach der Wende fuhr sich Frank Castorfs Volksbühne zu einem intellektuellen Kraftwerk der Hauptstadt herauf . Es war aber auch die beste Comedie allemande, die wir je hatten.

Politisches Theater, an das man sich noch erinnert, wirkt heute wie ein Produkt stabiler gesellschaftlicher Verhältnisse in der Bundesrepublik. Auch die DDR behauptete Stabilität und Wachstum, mag dies auch eine mehr oder weniger gelungene Gaukelei gewesen sein.

In ihrem Urgrund setzen Komödien Angst, Unsicherheit, die Nähe des Abgrunds voraus. Da tasten wir uns jetzt langsam hin. Ein Mister Madoff, der fünfzig Milliarden Dollar versenkt, Schecks über hunderte Millionen Dollar im Schreibtisch versteckt und noch aus dem Gefängnis Juwelen verschiebt – ist das nicht zum Brüllen komisch? Die Lage scheint viel zu ernst, als dass man immerzu mit ernster oder ernst gemeinter Kunst konfrontiert sein möchte. Die wahre Ablenkung ist, wenn man mit gestärktem sozialen Gewissen erleichtert das Theater verlässt – im Gefühl, etwas der Situation Angemessene gesehen zu haben.

Am Broadway bleiben momentan viele der – ohnehin völlig überteuerten – Theatersitze leer, Investoren halten sich bei Neuproduktionen schmerzhaft zurück. Hierzulande spürt man nichts von Zuschauerrückgang. Wir Tragiker brauchen unseren Stoff. Denn die Dramen, die da so routiniert über die Bühne gehen, sind fassbarer, harmloser und vor allem kürzer als all das, was draußen in der Welt passiert.

Rüdiger Schaper

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