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Die große Blase. Hinter Macbeth könnten wir alle stecken. Regisseur Robert Borgmann gibt zugleich den Bühnengestalter.

©  Thomas Aurin

Theater: Zuckungen des großen Ganzen

Das Maxim-Gorki-Theater kombiniert Shakespeares „Macbeth“ mit Martin Heidegger. Robert Borgmanns Inszenierung ist keine Aufführung eines Stückes von, sondern eine Fantasie nach Shakespeare.

Wer den Kopf in den Nacken legt, sieht an der Decke eine verführerisch plätschernde Wasseroberfläche. Oder ist es eine Unterfläche? Sitzt man im Maxim-Gorki-Theater wie auf dem Grund eines Meeres und schaut staunend hinauf? Der letzte Blick eines Ertrinkenden (oder Erdolchten) ans Licht, während ihm seltsame Bilder durch die Rübe rauschen? Die sind freilich alles andere als licht. Fantasien zum Thema Mord und Totschlag, blutende Hände, zum H.-Gruß gereckte Arme, Gasmasken, Soldatenreihen, zigarrepaffende Diktatoren und die grinsende Fresse des jungen Gaddafi ist auch dabei. Unter dem friedlich schwappenden Wasser geht es hier offenbar um die Erinnerungszuckungen des großen Ganzen, um aufschäumende Bilder aus dem kollektiven Mörderstammhirn.

„Macbeth“, diese letzte von Shakespeares Tragödien über einen erst skrupulösen, dann unerbittlichen Mörder, unterstützt, geschoben, aufgestachelt von der weltberühmten Lady Macbeth, diese eigentlich schon genügend schreckliche Geschichte von Machtgier, Schuld und dem ohrenbetäubenden Kreischen der Erinnyen pimpt der Regisseur Robert Borgmann zum großen Diskurskino auf. In der Anspielungsschlacht fliegen einem drei Stunden lang nicht nur Zitate von Walter Benjamin, Immanuel Kant und Martin Heidegger um die Ohren. Es stakst immer wieder auch ein zwei Meter hoher Vogel der Melancholie mit beängstigendem Riesenschnabel über die Bühne. Darauf steht die meiste Zeit ein riesiges rätselhaftes Polyeder, das vor alchimistischer Behauptung nur so neblig vor sich hinraunt.

Schon das Anfangsbild will klarmachen, dass dieser Abend keine Inszenierung eines Stückes von, sondern eine Fantasie nach Shakespeare ist. Linkerhand sitzt eine Frau an einem Nähtisch wie aus einem bürgerlichen Puppenstubendrama, rechts stehen Kirchenbänke wie aus Lars von Triers Glaubens- und Büßerdrama „Breaking the Waves“, ins Gorki kopiert. Das Polyeder, das später von Menschen im Frack hin- und hergekippt wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch mit einer Folie beklebt, durch die man Anne Müller als Lady Macbeth in einem Thron melancholisch vor sich hin monologisieren sieht. Außerdem ist da noch ein Flügel, an dem die Pianistin und Sound-Entwerferin Friederike Bernhardt Platz genommen hat.

Im ersten Moment hat dieser Blick in die Rumpelkammer der Ikonografie seinen Reiz – doch dann flammt die obligatorische Videofläche auf, und das Zitieren hört nie mehr auf. Man sieht die monströs vergrößerten, blutverschmierten Hände der Näherin, während sie Fotos von aggressiv eingestellten Zeitgenossen wie Gaddafi oder Soldatenbilder zusammennäht. Auch das ein wirkungsvolles Bild, aber eben nur ein Bild, von dem dieser Abend eines nach dem anderen an die Rampe schaufelt – um die Schauspieler in sie einzupassen, sich hinter ihnen verstecken oder gegen die abweisende Oberfläche krachen zu lassen. Die Zitate sind hochpathetisch und entwerten sich gegenseitig. Sie behaupten und zerstören Bedeutung gleichermaßen. Die Schauspieler schauen ratlos von der einen zur anderen Seite und wissen nicht, wohin. Sie spielen großäugig Shakespeare und rufen im nächsten Moment „Ist jetzt Pause, oder was?“.

Albrecht Abraham Schuch wütet als Macbeth mit viel Speichel, Geschrei und Erdefresserei kraftaufwendig über die Bretter, Anne Müller macht als Lady Macbeth kühlen Dienst nach Vorschrift. Andreas Leupold hat in Lodenanzug und mit Hut die undankbare Rolle, Martin Heidegger zu geben und sagt witzelnd das, was auf der Hand liegt: „Ich bin doch gar nicht Heidegger“, wogegen Hannah Arendt im kurzen Starauftritt zärtlich protestiert. „Ich habe gehört, du hast den zweiten Teil geschrieben. ,Zeit und Sein’.“

Alle anderen sind Knetmasse in der Hand des Regisseurs. Marek Harloff muss im zweiten Teil – nichts als die weiße Farbe des Gespensts am Leib – minutenlang Heidegger rezitieren, bevor er wie ein Vieh abgespritzt, von Macbeth mit Erde bespuckt und besprungen wird. Guido Lamprecht, kurzfristig eingesprungen für den erkrankten Holger Stockhaus, trägt großglasige Hornbrille, macht den Hochwasserhosenclown in allen Lagen und klettert auf der Suche nach seinem Doppelgänger (also nach uns) wild durchs Publikum.

Und die Musik? Von spannungssteigerndem Tongetropfe bis hämmerndem Bass, von Bach bis zu „Tanz den Mussolini“ der Deutsch Amerikanischen Freundschaft allet dabei. Robert Borgmann hat „Macbeth“ nicht inszeniert. Er hat drei Stunden den Staub seiner Assoziationen mit Weihrauch verwechselt.

Wieder am 23. Februar.

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