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© dpa

Theaterautoren: Das Stück zum Film, die Bühne für den Bestseller

Eine emotionale Tagung in Berlin beleuchtet die bizarre Situation der Theaterautoren. Gibt es eine "Überförderung" von Jungdramatikern?

Klar, wir führen hier eine Luxus-Debatte. Zumindest in diesem Punkt sind sich alle Teilnehmer des von den Berliner Festspielen initiierten Symposiums „Schleudergang Neue Dramatik“ einig. Schießen junge Dramatiker, so die Grundfrage der zweitägigen Veranstaltung in Koproduktion mit dem Deutschen Bühnenverein, deshalb wie Pilze aus dem Boden, weil sich inzwischen noch die kleinste Provinzstadt mit einem eigenen Uraufführungsfestival schmückt und selbst kunstunverdächtige Institutionen ihr Image mit Jungdramatiker-Preisen aufpolieren? Gibt es also, vorsichtig formuliert, eine Art „Überförderung“, die jedoch auf der Adressatenseite zunehmend Kunstfeindliches anrichtet – bis hin zu einem Frischewahn, der jedes Stück unmittelbar nach der Uraufführung in den Orkus schleudert und nach einem neuen schreien lässt?

Franz Wille, Redaktionsleiter von „Theater heute“, stellt die recht emotional geführte Debatte in seinem Auftakt-Referat auf angenehm analytische Füße: Lege man die unlängst erschienene Jahresstatistik 2007/2008 des Deutschen Bühnenvereins zugrunde, scheine sich die Rede vom Uraufführungsboom auf den ersten Blick zwar zu bestätigen. Im Vergleich zur Saison 1991/92 mit 218 oder zur Saison 1999/2000 mit 266 Uraufführungen hat sich die Zahl mit aktuell 557 neuen Produktionen mehr als verdoppelt. Doch schon die zweite Draufsicht, so Wille, erweise: Der Anteil an Film- bzw. Romanadaptionen und sogenannten Projekten, die ohne Texte im hier zur Diskussion stehenden Sinn auskommen, ist derart hoch, dass sich die Zahlen extrem relativieren, sobald man sich wirklich auf neue Dramatik fokussiert. Sollte es ein Phänomen wie „Überförderung“ also geben, reguliere sich das auf dem Dramatikmarkt letztlich wieder selbst.

Förderlücke bei talentierten Nachwuchsdramatikern

Eine veritable Förderlücke entdeckte Wille indes für jene Autoren, die sich, wie etwa Dea Loher, qualitativ eindrucksvoll durchgesetzt haben. Dass solche Dramatiker wegen des Uraufführungswahns und Nachspielschwunds, den auch Moritz Rinke gewitzt und anklagefrei auf dem Podium problematisierte, oft nicht von ihren Tantiemen leben könnten, sei ein ernsthaftes, dringend zu behebendes Problem.

Nun wird ja niemand bezweifeln, dass diese Debatten ihre Berechtigung haben. Nur ist ebenso unübersehbar, dass sie auf einer Idealvorstellung basieren, die da lautet: Theater können es sich auch weiterhin leisten, zumindest relativ betrachtet als Schutzraum außerhalb der marktüblichen Ökonomisierungs- und Verwertbarkeitszwänge zu agieren. Abgesehen davon, dass das für viele durchaus gutwillige Intendanten und Geschäftsführer bereits jetzt einen Extrem-Spagat bedeutet, muss spätestens an dieser Stelle natürlich die Gegenfrage nach den ästhetischen Möglichkeiten und wohl auch der Qualität der Gegenwartsdramatik erlaubt sein.

Da bleiben eine Menge Fragen offen. Wieso ist denn, zum Beispiel, der Anteil der Jungdramatik im engeren Sinne an der explosionsartig angestiegenen Uraufführungszahl so vergleichsweise gering? Und was verbirgt sich hinter dem anderen Teil? Hatte bereits die letzte Saison mit einer Bestseller-Vertheaterung von Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“ in Braunschweig bis zu Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ in Halle begonnen, setzt sich der Trend zur Romanadaption von Dresden bis Hamburg dieses Jahr auffällig fort. Eine Stichprobe am Berliner Maxim Gorki Theater ergibt, dass die Hitliste der zehn Theater-Bestseller seit Armin Petras’ Intendanzstart 2006 von vier Romanadaptionen angeführt wird. Nils Tabert, Lektor des Rowohlt-Theaterverlags, bestätigt diese Tendenz. Als er vor rund zehn Jahren seinen Job antrat, hätte er die Nachfragen für Kino- und Belletristik-Hits fast noch an den Fingern abzählen können. „Das hat sich massiv potenziert.“ Eine Zahl lässt sich Tabert ungern entlocken, aber auf hartnäckiges Nachfragen rückt er doch mit vorsichtig über den Daumen gepeilten zwanzig bis dreißig Prozent am Gesamtrepertoire heraus.

Differenzierte Gesellschaftsstrukturen erfordern differenziertes Dramenpersonal

Schaut man sich die Roman- oder Filmadaptionen auf den Bühnen dann an, handelt es sich in den seltensten Fällen um ästhetisch spannende Transformationen des einen Mediums ins andere, wie man sie etwa bei Frank Castorfs Dostojewksi-Abenden erleben konnte. Die Regel sind mehr bebilderte denn inszenierte Digest-Fassungen von Büchern und Kinofilmen. Was den Verdacht nahe legt, dass die Bühne ihre eigentliche Bestimmung verliert und als eine Art Sekundärverwertungsmedium an Wichtigkeit gewinnt: Man geht weniger hin, um die bahnbrechende Jungdramatikerin zu entdecken, als vielmehr, um Stories zu rekapitulieren, die man bereits kennt oder zumindest kennen sollte.

Ein anderer Aspekt: Wann immer in einem Gegenwartsstück jemand, sagen wir mal, den real existierenden Kapitalismus beklagt, folgen mit hoher Sicherheit (und meist zu Recht) massive Klischeevorwürfe. Differenzierte Gesellschaftsstrukturen erfordern eben differenziertes Dramenpersonal; mit den tradierten Antagonismen kommt man anno 2009 nicht mehr allzu weit. Das sieht allerdings schlagartig anders aus, sobald – wie bei den zahlreichen Alltagsexperten in den Aufführungen à la Rimini-Protokoll oder auch in den Laienchören eines Volker Lösch – eine Art Authentizitätsgütesiegel auf den fraglichen Äußerungen prangt. Dem real existierenden Nachbarn verzeiht man Unterkomplexität und Nabelschauen offenbar wesentlich lieber als jedwedem dramatischen Personal, das dem Kopf eines Stückeschreibers entspringt.

Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass sich die freie Szene im Moment eher auf künstlerische Strategien als auf den dramatischen Text verlegt, so hilflos das dort wieder über uns hereingebrochene Laien- und Mitmachtheater oft auch aussehen mag. Es reagiert damit auf Konkurrenzmedien durch die Betonung seines Alleinstellungsmerkmals: den Live-Aspekt.

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