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Theaterfestival ''F.I.N.D.'': Spezialeinheit auf Geschichtenjagd

Das Festival „F.I.N.D.“ in der Schaubühne präsentiert die Theaterszene aus Süd- und Nordamerika.

Die Katze und die Küken dürfen nicht mitspielen. Der argentinische Regisseur Rodrigo García lässt vor der Vorstellung eine Mitteilung im Publikum verteilen, in der um Entschuldigung für das daraus resultierende Fehlen einiger wichtiger Szenen gebeten und erklärt wird: „Obwohl die Tiere zu keinem Zeitpunkt misshandelt werden, hat das örtliche Veterinäramt beschlossen, uns keine Genehmigung zu erteilen.“ Leicht säuerlich schließt das Schreiben, in Frankreich und Spanien sei das Stück ohne Probleme gezeigt worden. Auf Szenenfotos kann man die Küken durch ein gläsernes Becken spazieren sehen, die Katze hockt davor und schaut ziemlich hungrig. Vielleicht hat das Berliner Veterinäramt ja einfach ein Blutbad verhindern wollen, bei Südamerikanern weiß man schließlich nie, was sie der Kunst zu opfern bereit sind.

Garcías Produktion „Tod und Wiedergeburt als Cowboy“, die als Gastspiel bei der zehnten Ausgabe des Festivals Internationale Neue Dramatik (kurz F.I.N.D.) an der Schaubühne gezeigt wurde, beginnt auch nicht gerade vertrauenerweckend: Zwei nackte Männer wälzen sich in einem rohen, blutigen Kampf auf E-Gitarren, die leider an sehr große Verstärker angeschlossen sind, während im Hintergrund ein elektronischer Rodeo-Bulle böse mit den roten Augen funkelt. Ein infernalisches Szenario, das freilich ironisch gebrochen wird, wenn die Kerle ihre Keilerei für Ballett-Einlagen unterbrechen. Diese Performance an der Schmerzgrenze erzählt von fragilen Männermythen, westlichem Potenzgebaren, der Geburt der Kultur aus der Gewalt und pervertierten Freiheitsversprechen – und sie wird von García, bereits zweimal zu Gast beim F.I.N.D., in eine furiose Existenzphilosophie überführt. Die Schauspieler Juan Loriente und Juan Navarro sitzen sonnenbebrillt und bierbewehrt auf Liegestühlen, Cowboy-Hüte auf dem Kopf, und rechnen lakonisch mit einer Konsumgesellschaft im Sinnleerlauf ab. „Es ist klar, dass wir so lachen, wie wir lachen. Weil wir nicht glücklich sind.“

Das Festival ist mit dem Titel „Die drei Amerikas“ überschrieben, was hier Lateinamerika, die USA und Kanada meint, wobei der Fokus auf dem Süden liegt. Klar, Lateinamerika ist ja so etwas wie das Sehnsuchts-Eldorado für westliche linke Theatermacher geworden, wohl wegen der inspirierenden Mischung aus sozialistischen Rest-Utopien und krassen sozialen Gegensätzen, die ihre Sprengkraft nicht erst behaupten müssen.

Der dortigen Theaterkunst scheint das raue Polit-Klima gut zu bekommen, wofür auch die Arbeiten des Argentiniers Rafael Spregelburd sprechen, eines fernen Almodóvar-Verwandten. Sein Gastspiel „Paranoia“ ist eine dreieinhalbstündige Pulp-Fiction-Extravaganza, deren irrlichternder Plot von außerirdischen „Intelligenzen“ erzählt, die in tausenden von Jahren die kosmische Balance halten und sich von Fiktionen ernähren, die auf der Erde produziert werden. Als der Geschichtenvorrat zur Neige zu gehen droht, wird eine Spezialeinheit in Uruguay zusammenstellt, die Nachschub liefern soll, mit ihren Überlegungen allerdings mitten in einer venezolanischen Soap landet. Um das vitale Bedürfnis nach Geschichten geht es in diesem wilden Pop-Polit-Trash-Mix, der Transvestiten, Roboter und Präsident Hugo Chávez persönlich auftreten lässt und die Zeiten durcheinanderwirbelt. Zugleich ist die titelgebende Paranoia auch Gegenwartsdiagnose südamerikanischer Befindlichkeit zwischen Fremdbestimmung und Selbstauflösung. Von Spregelburd lief zudem in einem Fitnessstudio am Adenauerplatz ein Ausschnitt aus seiner 15-stündigen Theater-Telenovela „Bizarra“. Die spielt mal in einem Schlachthaus-Kollektiv und lässt einen „Chor der blutenden Kühe“ auftreten – wie Brecht auf LSD.

„Ich bin die offenen Adern Lateinamerikas!“, ruft die Schauspielerin Verena Unbehaun, kostümiert wie Pocahontas, in der Hand eine Ausgabe des gleichnamigen Buches von Eduardo Galeano. Patrick Wengenroth, Schöpfer des Theaterformats „Planet Porno“, setzt mit „The Americas – War of the Worlds“ sein auf jeden Stoff anwendbares Konzept der assoziativen Totalverwitzelung fort: die deutsche Antwort auf die Dilemmata des fernen Kontinents. Unter Bezugnahme auf H. G. Wells, Rocco Siffredi, Udo Lindenberg und den 11. September sattelt Wengenroth zu einem Wildwest-Ritt durch die imperialistische Prärie auf, und weil ihm tolle Schauspieler wie Thomas Thieme und Judith Rosmair zur Seite stehen, wird das Ganze ein ziemlicher Spaß. Was dabei aufscheint, ist das noch ungeklärte Verhältnis der hiesigen Theatermacher zum Obama-Amerika, nach Jahren des bequemen Bush-Bashings.

Die USA selbst sind durch Christopher Shinn vertreten. Dessen akademisches, aber solides Stück „Now or Later“, vorgestellt in Szenischer Lesung, erzählt vom Sohn eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der auf einer freizügigen College-Party im Mohammed-Kostüm fotografiert wurde. Während Papa die Wahlen gewinnt, werden im Netz erste Unruhen aus Pakistan gemeldet. Jedes Land hat seine eigenen Sorgen.

Es ist gutes F.I.N.D.-Programm in diesem Jahr. Und nicht nur ein komisches. Eines der stärksten Stücke trägt den Titel „Verbrennungen“. Der Frankokanadier Wajdi Mouawad, geboren in Beirut, hat es geschrieben und inszeniert. Es folgt einem Geschwisterpaar, das sich nach dem Tod der Mutter auf die Suche nach den eigenen Wurzeln im bürgerkriegsversehrten und geschichtswunden Libanon begibt und am Ende vor einem kaum fasslichen Abgrund steht. „Verbrennungen“, von Mouawad mit einfachsten Mitteln inszeniert, besitzt tatsächlich die oft behauptete Wucht einer griechischen Tragödie. Und es beglaubigt noch einmal auf ganz andere Weise den Gedanken, dass die Menschen Geschichten brauchen, um zu überleben.

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