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Szene aus Richard Nelsons "The Gabriels" (Teil 1), das Familiendrama und US-Wahl zusammenbringt.

© Joan Marcus / Schaubühne

Theatermacher Richard Nelson über Trumps USA: „Demokratie ist zerbrechlich“

Sein Stück "The Gabriels" läuft beim FIND-Festival an der Schaubühne: Der New Yorker Regisseur Richard Nelson über Wut und den amerikanischen Mittelstand nach Trumps Wahl.

Mr. Nelson, können Sie als Theatermacher der Präsidentschaft von Donald Trump einen bizarren Unterhaltungswert abgewinnen?

Nein! Die Situation ist nicht lustig, so einfach ist das. Trump wurde während des Wahlkampfs lange wie ein Clown behandelt, und das war nicht hilfreich. Einen klaren Blick zu bewahren, wäre wichtiger gewesen als diese Art Herablassung.

Wie ist denn die Stimmung gegenwärtig unter den Intellektuellen und Künstlern in New York?

Gemischt. Da ist Frustration, Angst, Verwirrung. Manche versuchen, die Realität von sich wegzuhalten, andere bemühen sich, den Humor nicht zu verlieren, wieder andere wollen nur schreien.

Der dritte Teil Ihrer „Gabriels“-Trilogie hatte am Abend des 8. November Premiere, der Wahlnacht. Was für eine Atmosphäre herrschte im Theater?

Wir haben in New York um halb acht zu spielen begonnen und endeten gegen neun. Keiner von uns wusste, wie die Auszählung läuft, auch die Zuschauer nicht. Das Publikum war toll, niemand hat heimlich auf sein Handy geschaut. Die meisten rechneten natürlich damit, dass Hillary Clinton gewinnen würde. Aber kaum dass wir geendet hatten, begann durchzudringen, dass die Dinge sich anders entwickeln. Sofort machten sich Fassungslosigkeit und Wut breit.

Haben Sie Trump kommen sehen?

Verschiedene Male während des Wahlkampfes, natürlich. In der Kunst- und Medienblase, in der ich mich ja bewege, wurde zwar immer wieder suggeriert, das könnte niemals passieren. Was einen ins Zweifeln brachte. Aber ich wusste – und die Stücke handeln auch davon –, dass viele Amerikaner sich verloren fühlen. Das hat Trump sich zunutze gemacht, indem er ihnen Schutz anbot. Einen trügerischen, versteht sich.

Inwiefern verändert sich der Blick auf die Stücke durch den Wahlausgang?

Wir haben die „Gabriels“ danach viel gespielt, auch auf Tour. Wir waren in Washington – am Tag der Vereidigung übrigens –, in Australien und Hongkong. Wenn Clinton gewonnen hätte, wären sie wohl als Warnung verstanden worden: Achtung, wir befinden uns auf dünnem Eis. Durch Trumps Sieg haben sie eine ganz andere Tonart bekommen. Es gibt eine Zeile darin, die immer wiederkehrt: „Was ist mit uns?“ Darin liegt die Frage: Wohin gehören wir eigentlich? Diese Suche nach Zugehörigkeit hat an Dringlichkeit noch gewonnen.

Wohin gehören wir? Der New Yorker Theatermacher Richard Nelson ist Spezialist für die Verbindung von Familiengeschichten mit nationalen Ereignissen.
Wohin gehören wir? Der New Yorker Theatermacher Richard Nelson ist Spezialist für die Verbindung von Familiengeschichten mit nationalen Ereignissen.

© Public Theater

Sind die USA wirklich eine gespaltene Nation?

Die Realität ist komplizierter. Viele Schieflagen, die Bernie Sanders von links ins Visier genommen hat, ist Trump von rechts angegangen – teilweise mit ähnlichen Argumenten. Wo verläuft der Graben wirklich? Ein grundlegendes Problem ist sicherlich, dass Politik wie Sport betrachtet wird. Wer gewinnt, wer verliert? Gerade wieder lautete die Schlagzeile in der „New York Times“: Jetzt braucht Trump einen Sieg! Als wäre alles ein Footballmatch.

Von welchen tatsächlichen Missständen lenkt das denn ab?

Ein gewaltiges Problem ist, dass so viele Menschen aus ganz verschiedenen Schichten sich abgehängt und nicht gehört fühlen. Unlängst wurde eine Statistik veröffentlicht, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht: Die acht reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die unteren 3,5 Milliarden zusammen. Wie konnte es dazu kommen? Die Frage stelle nicht nur ich mir. Niemand scheint darauf eine Antwort zu haben.

Ihre Gabriels sind eine liberale Mittelklassefamilie, die von der Gentrifizierung bedroht ist. Geht eine Gefahr von diesen verunsicherten Normalbürgern aus?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Stück: In Rhinebeck, wo die Gabriels leben und wo ich selbst zu Hause bin, stellt sich eine Demokratin aus Manhattan zur Wahl für das Repräsentantenhaus. Eine kluge Frau, aber sie ist gerade erst in die Stadt gezogen, aus Karrieregründen. Und sie gibt in diesem kleinen ländlichen Bezirk über 12 Millionen Dollar für den Wahlkampf aus – Geld, das sie bei Leuten von außerhalb gesammelt hat. Woraufhin eine der Figuren fragt: Können wir nicht mehr für uns selbst sprechen? Das Vertrauen in Ehrlichkeit und Gerechtigkeit schwindet. Das ist eine Gefahr. Und es ist ein menschliches Problem, keines von Linken oder Rechten.

Allerdings scheinen die Rechten besser darin zu sein, dagegen ein diffuses Gefühl von Geborgenheit zu verkaufen.

Das mag sein, aber in Amerika sehe ich nicht unbedingt einen gigantischen Aufschwung des Rechtspopulismus. Der Wunsch nach einem politischen Wechsel war vorhersehbar. In der Geschichte der USA hat nur einmal die Partei, die für zwei Amtszeiten den Präsidenten gestellt hatte, auch eine dritte gewonnen: als George Bush auf Ronald Reagan folgte. Schon statistisch war es also sehr wahrscheinlich, dass die Republikaner gewinnen würden.

Schärft die Präsidentschaft von Donald Trump das Bewusstsein dafür, wie fragil die Demokratie letztlich ist?

Der Fragilität sollte man sich bewusst sein. Ich bin jetzt 66 und spreche darüber viel mit meiner erwachsenen Tochter, die sich politisch engagiert. Allerdings hat ihre Generation viele heikle Phasen der Geschichte nicht erlebt: die Kubakrise, während der wir uns als Schüler unter die Tische hocken mussten, als Übung für den atomaren Ernstfall. Oder den Vietnamkrieg. Mit politischen Krisen verbinden die Jüngeren Monica Lewinsky.

Was kann politisch Hoffnung geben? Wohl kaum die Aussicht, dass beim nächsten Mal wieder die Demokraten gewinnen?

Die Hoffnung liegt für mich in der Erkenntnis, dass die Dinge sich ändern müssen. Wie, das steht auf einem anderen Blatt.

„The Gabriels“ in der Schaubühne: Teil 1 („Hungry“) an diesem Freitag, 19 Uhr, und So, 2.4., 14 Uhr . Teil 2 („What did you expect?“) Sa, 1.4., 18 Uhr und So, 2.4., 16.45 Uhr. Teil 3 („Women of a Certain Age“) Sa, 1.4., 21 Uhr, und So, 2.4., 20.30 Uhr

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