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Kriegsspielmüde. Szene aus „Jeder stirbt für sich allein“.

© Angerer, Krafft

Theatertreffen 2013: Hitlers Berlin, ein böses Märchenspiel

Fallada und Luk Perceval beim Theatertreffen. Luk Percevals Bearbeitung von Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein" von 1947 aktuell für das Hamburger Thalia-Theater wirkt eher zeitlos, ortlos. Die Inszenierung weist kaum über sich hinaus.

Die ganze Kunst- und Kulturgeschichte ist auch ein Universum. Mit Hintergrundstrahlen und einem Hintergrundrauschen: in dem sich durch Zeiten und Räume die Werke, die Geister gegenseitig beleuchten, erhellen, verschatten, sich kreuzen, schneiden oder scheiden. Und immer wieder gibt es im Unendlichen sonderbare Parallelen.

Beim Theatertreffen 2010 hatte der Belgier Luc Perceval mit mit einer Dramatisierung von Hans Falladas Wirtschaftskrise-Roman „Kleiner Mann, was nun?“ (aus dem Jahr 1932) triumphiert, in seiner Münchner Kammerspiele-Inszenierung. Nun war Perceval wieder zum Treffen geladen: mit Falladas späterem Roman-Stoff „Jeder stirbt für sich allein“, diesmal vom Hamburger Thalia Theater. Und beide Fallada-Romane hatte einst in Bochum und dann in Berlin auch Peter Zadek in Theater verwandelt. Doch plötzlich lagen Zeiten und Welten zwischen Geschichte und Gegenwart.

Percevals Stärke ist die Verdichtung. Zadek machte aus Falladas Reflexen auf das Ende der Weimarer Republik und auf das Finale des NS-Terrors zwei grandiose Revuen. Perceval fügt historische Panoramen zum schmalen Panoptikum. Das hatte ungeheure Tiefe im Münchner Fall, mit einem tollen Kammerspiel-Ensemble, war ein künstlerisch starkes Echo auch auf Percevals furioses Shakespeare-„Schlachten!“ vor einem Jahrzehnt.

Nunmehr wirkt das Schmale nur ein wenig schal und seltsam wesenlos. Noch nicht unwesentlich, nein, das geht ja auch nicht im Gedenkjahr ’33-’43’-13. Man wird schon mitgenommen: vom Schicksal des Berliner Tischlerpaars Anna und Otto Quangel, die ab 1940, als sie die Nachricht vom „Heldentod“ ihres einzigen Sohnes erhalten haben, mit anonymen Postkarten gegen den Kriegswahnsinn protestieren und schließlich bei der Gestapo und in Plötzensee enden.

Hans Falladas Roman von 1947 ist 2011 in einer revidierten, erstmals ganz authentischen Fassung neu erschienen, ist sogar in den USA nochmal ein Bestseller geworden. Eine kolportagehaft melodramatische Geschichte über Widerstand und Anpassung, Treue und blutigen Verrat, auch darüber: wie sich das immer wieder mischt. Einiges darüber teilt sich im stimmungsvollen Bühnenbild von Annette Kurz, das einer großstädtischen Topographie so gut wie einer Asservatenkammer gleicht, im Verlauf von fünfeinhalb Stunden auch irgendwie mit.

Aber diese lange Aufführung weist kaum einmal über sich hinaus, sie ist im Gestus und in den Kostümen (ohne Hakenkreuze u.ä.) eher zeitlos, ortlos. Wo Zadek 1981 im Berliner Schillertheater mit 170 Mitspielern, an der Spitze mit Bernhard Minetti, Hilmar Thate, Otto Sander, Zazie de Paris, Angelika Domröse, Sabine Sinjen undundund, Theater, Historie, Falladas eigene Biographie und den Kriegs kühn, grausig, frivol, politisch oft völlig inkorrekt persiflierte und zugleich poetisch pointierte – ist hier nur ein schlichtes, schlimmes Märchen zu sehen. Mit viel Aufsagetheater, elf Akteuren und ein paar vereinzelt besonderen Momenten von Oda Thormeyer und Thomas Niehaus als den Quangels, mit dem hervorstechenden Daniel Lommatzsch als tragischem Strizzi und der alten, großen Barbara Nüsse, fast verschenkt in einer SS-Hosenrolle. Peter von Becker

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