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Szene aus "John Gabriel Borkman"

© Reinhard Maximilian Werner/Festspiele

Theatertreffen Berlin: Caroline Peters: „Vielleicht bin ich ja altmodisch“

Mit Caroline Peters kann man über alles reden – über Wien und Berlin, Andrea Breth, René Pollesch, Frank Castorf und Simon Stone, in dessen Ibsen-Stück sie beim Theatertreffen zu erleben ist.

Klug und witzig kann Caroline Peters über ihre Rolle als sympathisch verstrahlte Provinzkommissarin in der ARD-Krimiserie „Mord mit Aussicht“ sprechen. Hier unterhalten wir uns mit der 1971 in Mainz geborenen Schauspielerin ausschließlich über Theater. 1995 kam sie an die Schaubühne und spielte später am Hamburger Schauspielhaus und in der Volksbühne. Sie gehört zu den René-Pollesch-Protagonistinnen der ersten Stunde. Jetzt kommt sie mit Simon Stones „John Gabriel Borkman“ zum Theatertreffen, vom Burgtheater, wo sie seit zwölf Jahren Ensemblemitglied ist. Das Gespräch im Wiener Café Imperial beginnt mit einem spektakulären Törtchen.

Frau Peters, das ist eigentlich fast zu attraktiv zum Essen, oder?
Ja. Man möcht’s gleich fotografieren und whatsAppen!

Wie die Internetstreberin Ella Rentheim, die Sie in Simon Stones Ibsen-Überschreibung „John Gabriel Borkman“ spielen. Was macht die eigentlich sonst noch, außer Birchermüsli-Rezepte von Facebook-Seiten nachzukochen?
Ich stelle sie mir immer als eine vor, die irgendeinen total langweiligen Job hat, 17 Uhr nach Hause geht, einmal im Monat mit den Kollegen ein Bier trinkt und sich ansonsten wirklich ausschließlich mit dem Facebook-Profil ihres Neffen Erhart beschäftigt. Und das alles, um so ein kosmisch zerschundenes Liebeserleben zu verwinden.

Haben Sie und Ihre Schauspielkollegen Birgit Minichmayr und Martin Wuttke an der Textfassung mitgearbeitet?
Simon kam mit ungefähr zehn Seiten Text. Die haben wir zusammen gelesen, und von da an konnte man darüber reden. Strukturell ging es wirklich streng nach Ibsen, also im Sinne von: Wer begegnet wann welcher Figur mit welcher Problemlage. Nur ist das eben unterfüttert mit dem, was wir uns gemeinsam erredet haben auf den Proben.

Je nach Fraktion werden solche Überschreibungen als Rettungs- oder Verflachungsmaßnahme kanonischer Texte bewertet. Zu welcher Seite tendieren Sie?
Mit anderen Regisseuren versucht man ja oft, Dramen ohne eine solche Neufassung auf modern zu trimmen, sagen wir mal, einen „Clavigo“. Und das kann ich überhaupt nicht, da denke ich bei jedem Satz, den ich sage: Aber wieso denn, das steht doch ganz anders im Text! Deswegen hat Simon Stone für mich den perfekten Ansatz, die Geschichten der Vergangenheit zu retten: Man benutzt sie in ihren Grundkonstellationen, erzählt dann aber etwas, was unmittelbar heute stattfinden kann. Als die Leute damals zu Ibsens „Borkman“-Uraufführung gingen – das sagte auch Simon während der Proben immer – bekamen sie auch einen Text, der absolut aktuell war.

Sie haben Ihre Theaterkarriere bei Andrea Breth an der Schaubühne begonnen. Wie hat Sie das geprägt?
Ich fand Andrea Breth wirklich großartig. Sie ist außerordentlich intelligent und hat auch einen sehr trockenen Humor bisweilen. Und mir hat diese Art von Leseproben total zugesagt, die wie ein Proseminar in Germanistik sind. Wo man einfach mal eine Woche lang dasitzt und über diesen Text redet, mit jeder Menge Querverweisen und Sekundärliteratur. Das würde mir übrigens auch jetzt noch gut gefallen, wo die sogenannten Materialmappen im Theater aus fünf ausgedruckten Wikipedia-Seiten bestehen, mit zwei Fotos dazu.

Finden Sie, dass sich die Mappenschrumpfung im Bühnenresultat niederschlägt?
Ehrlich gesagt, ja. Das geht aber auch einher mit dem Publikum. Also man macht das sozusagen gemeinsam: Die verflachen genau wie man selber und umgekehrt.

Woran liegt das?
Das frage ich mich auch. Vielleicht ist einfach zu viel los in unserer Zeit, gerade um sich so intensiv aufs Theater zu konzentrieren? Außerdem ist der klassische Bildungsbürger in unserer Generation derart uncool, dass jeder, auch ich, versucht, um Gottes willen keiner zu sein. Da geht aber auch viel verloren.

Was denn?
Für mich wird diese wahnsinnig genaue Text-Analyse, die ich bei Breth als Anfängerin gelernt habe, manchmal zu einem Problem, weil ich das gar nicht kann, dieses moderne: So, und jetzt machen wir noch 200 Seiten Fremdtext da rein, und wir können ja auch selber mal improvisieren, und wow, sind wir alle wild! Und die Ansichten des Autors fanden wir sowieso schon immer scheiße, aber wir machen das Stück trotzdem. Das schränkt mich natürlich auch ein.

Eine zweite, völlig andere Prägung neben der Schaubühne war für Sie schon sehr früh René Polleschs Diskurstheater. Ein Ausweg?
Seit meinem Beginn am Theater finde ich das klassische Repertoire für Frauen wahnsinnig schwierig und beschränkt, für junge Frauen ganz besonders. Julia, Gretchen, Käthchen von Heilbronn, da geht es immer um eine Art von Zartheit und Feinheit und darum, auf der Bühne Emotionen zu versprühen, nie um Inhalte. Und ich habe mich dafür nicht geeignet. Da war Pollesch eine dringend herbeigesehnte Errettung. Dass man selber den Stoff in der Hand hat und Sätze sagen kann, die einen unmittelbar ergreifen und interessieren – und die Zuschauer auch.

Im Gegensatz zu den Käthchen und Gretchen hat René Pollesch ja offenkundig auch kein Humorproblem: Eine weitere Parallele zu Ihnen!
Das kommt erschwerend hinzu: Es gibt unglaublich wenige komische Rollen im klassischen Repertoire für Frauen. Und das Komische wird selten als ergreifend anerkannt, was es aber ist. Also es gibt die komische Alte...

...die ja in Wahrheit gar keine komische Rolle ist...
...sondern einfach nur eine Gemeinheit, genau. Da soll man ein ausgeleierter alter Körper sein, und darüber sollen die Leute lachen dürfen. Und das soll man dann auch noch stolz über die Bühne tragen und sich eine ganze Karriere lang darauf freuen, dass das im Alter auf einen zukommt! Tatsächlich ist es für Frauen mit starkem Humor nicht nur schwer, einen Regisseur zu finden, der einem erlaubt, den in einen klassischen Text einzubringen. Sondern es ist sogar schon schwer, einen zu finden, der das überhaupt erst mal für eine Möglichkeit hält, dass man da gerade was Lustiges macht!

Als Kind in 12-stündige Theatervorstellungen? Da waren die Eltern gnadenlos.

Caroline Peters
Caroline Peters in ihrer Rolle als Kommissarin in "Mord mit Aussicht"

© WDR/Michael Böhme

Inzwischen arbeiten und leben Sie schon seit zwölf Jahren in Wien. Wie schaut sich denn Berlin so aus der Ferne an?
Ich wechsle ja immer noch oft zwischen den Städten, und tendenziell hat man natürlich immer das Gefühl, wenn man in Wien ist, ist man altmodisch und langsam, während Berlin modern ist und schnell. Und dann denke ich immer so: In der Zeit, in der ich jetzt hier bin, habe ich schon drei Intendanten durch – an der Burg, einer der ältesten und größten Kulturinstitutionen Europas! In Berlin hat unterdessen so gut wie kein Intendant gewechselt, außer am DT und am Gorki.

Und: zufrieden?
Das Gorki mit Shermin Langhoff und Jens Hillje fand ich eine super Entscheidung. Dass man sagt: Unsere Gesellschaft ist eben nicht auf ost- oder westdeutsche Bildungsbürger beschränkt, sondern es gibt einfach jede Menge andere, die hier genauso leben und die müssen auch ihr Theater bekommen, das leuchtet mir wahnsinnig ein. Ansonsten: Wie lange sitzt man denn in Berlin auf seinem Posten?

Die Volksbühne wird ja 2017 mit Chris Dercon, dem gegenwärtigen Direktor der Londoner Tate Modern, auch einen neuen Intendanten bekommen.
Diese Entscheidung verstehe ich überhaupt nicht. Es ist mir ein Rätsel, was Chris Dercon da soll. Dieser Kulturbegriff, dass man sagt, Museumskultur steht auf demselben Blatt wie Theaterkultur, weil im Museum jetzt auch performt wird, der ist mir zu ausgedehnt. Ich denke dann immer: Okay, vielleicht ist mein Theaterbegriff ja wirklich altmodisch, aber mich hat auch erstaunt, dass Tim Renner, der Berliner Kulturstaatssekretär, moniert hat, Theater habe den Anschluss ans digitale Zeitalter verpasst und müsste digitalisiert werden. Nee, eben genau nicht! Je digitalisierter die Welt ist, desto dringender brauchst du Orte, wo Menschen sich live gegenübersitzen und in irgendeiner nichtdigitalen Form miteinander kommunizieren.

Viele sagen zur nahenden Volksbühnen-Zäsur, dass Castorf ohnehin überall fortlebe, weil seine Ästhetik in sämtliche Theater Einzug gehalten hätte.
Das finde ich einen Horror-Gedanken! Ich möchte nämlich gar nicht, dass der in anderen lebt. Er soll selber seine Arbeit machen und zeigen können. Castorf ist wirklich super gebildet! Das sind keine Fremdtexte, die der mal eben so beliebig und zufällig reinschleudert, sondern das hat der alles gelesen und kann es zusammensetzen und aus dem Bücherregal greifen und sagen, genau diese 20 Seiten nimmst du jetzt noch, weil es in dessen Gehirn alles da ist. Bei ihm ist das extrem inhaltlich motiviert und nicht einfach nur diffus cool. Und das können nicht viele. Die Referenzbibliothek haben die da gar nicht stehen, in ihrer Birne.

Ihr allererstes Theatererlebnis?
Oh, das ist lange her. Meine Eltern waren Theaterfans. Die haben uns früh mitgenommen und keine Unterscheidung gemacht zwischen Kultur, die Kinder verstehen und Kultur, die Erwachsene verstehen. Das war denen total wurscht, die fanden: Wie Erwachsene auch Astrid Lindgren lesen, gucken sich Kinder auch die „Dreigroschenoper“ an. Oder Robert Wilson, „The Civil Wars“, 12 Stunden. Da waren meine Eltern echt gnadenlos. Und ich muss sagen: Von der Aufführung ist wirklich viel hängen geblieben!

Gibt es noch andere Punkte, in denen Ihre Eltern recht behalten haben?
Mein Vater ist Psychiater. Der hatte immer einen sehr humanen Begriff davon, was „normal“ ist und was nicht. Er hat einem früh das Gefühl vermittelt, dass man sich nicht an irgendwelchen Begriffen festhalten muss, sondern dass Realität und Normalität von Sekunde zu Sekunde und von Mensch zu Mensch völlig anders wahrgenommen werden können. Sein Credo war immer: Schizophrene reden nicht irr oder wirr, sondern die reden Text. Und man kann sich da reinhören und das irgendwann entschlüsseln.

Hat das Ihren Blick auf Theater geprägt?
Ja, auf Text vor allen Dingen. Dass es zum Beispiel Texte gibt, die direkt kommunizieren und Texte, die gar nicht kommunizieren, sondern nur schön aussehen.

Sie selbst kommunizieren vor allem sympathisch offen.

Ja?

Der „Gala“ haben Sie kürzlich mit großer Selbstironie von einer schönheitschirurgischen Labialfaltenunterspritzung erzählt ...
... die überhaupt nicht funktioniert hat, stimmt!

Nachdem Ihre Lippe „schlauchbootmäßig angeschwollen“ war, mussten Sie sie mit einer aufwendigen Gegenspritzprozedur in den Ursprungszustand zurückversetzen.

Das ist so lustig! Ich hatte eine allergische Reaktion und sah vollkommen wahnsinnig aus. Ich musste einfach auch selber so über mich lachen, dass ich dachte, das kann man doch erzählen: Ich wollte so sein, wie es sich gehört, und dann geht das total schief!

Das Gespräch führte Christine Wahl.

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