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Alles so kaputt hier. Szene aus „Borderline Prozession“.

© Theatertreffen/Schaar

Theatertreffen: Mulitmedia-Show vom Schauspiel Dortmund: Sturmzeichen der Gewalt

Ein Festival der Affirmation: Dortmunds „Borderline“ beim Theatertreffen - ein mediales Spektakel in Oberschöneweide.

Vor der Tür sitzt ein alter Mann und hält dicke, schwere Bücher feil. Es ist Claus Peymann mit seiner BE-Dokumentation zum Abschied. Drinnen in einer der Rathenau-Hallen implodiert ein Theater ganz anderer Art. Das Schauspiel Dortmund hat hier in Oberschöneweide sein Theatertreffen-Quartier bezogen. Für die „Borderline Prozession“ wird viel Platz gebraucht. Schließlich muss die ganze Welt in ihrer neuen Komplexität und all ihrem Elend und Nervkram hineinpassen.

Regisseur Kay Voges und seine Dramaturgen Dirk Baumann und Alexander Kerlin jagen ihr Ensemble durch die Gefahrenzonen des medialen Alltags. Mit Riesen-Überbau: Im Bühnenbild von Michael Sieberock-Serafimowitsch stehen Videoscreens auf Küchen, Wohn-, Schlaf- und Badezimmern. Die dreistündige Show nennt sich „Ein Loop um das, was uns trennt.“ Zeremonielles Theater zwischen Film und Installation, zitierte Gewalt, Bedröhnung permanent aus den Lautsprechern hoch über den wechselnden Schauplätzen. Die einsamen Menschen von „Eleanor Rigby“, die „Road to Nowhere“, Bowies Major Tom, Leonard Cohens letzte Worte, Gustav Mahler. Das Gewitterstürmen strengt die Zuschauer auf der Tribüne mächtig an und unterfordert sie zugleich. Nachrichtensperrfeuer, Bilderfluten – und mittendrin große Worte von Montaigne, Alexander Kluge, Charles Bukowski, André Breton, französischer Strukturalismus. „Borderline Prozession“ schafft ein neues Genre – das gespielte multimediale Programmheft. Das programmierte Theatererlebnis.

Bertolt Brecht, Donald Trump, das alte Testament. Die Posaunen von Jericho. Stimmengewirr. Hegels „Weltgeist zu Pferde“ fährt bei den Dortmundern auf einer Karre mit Live-Kamera. Dirigiert von Kay Voges, dem Bonaparte aus dem Ruhrgebiet. Macrons Wahlsieg wird eingeblendet. Hinten in der Halle das Rechenzentrum. Man durchschaut den lärmenden Aufriss mit Soldaten, Liebespaaren, einsamen Frauen, Trinkhallentypen, Priester usw. bald allzu leicht. Technisch-logistisch ein Riesending, doch zu sauber, zu clever. So oberflächlich wie die Oberflächen, die „Borderline Prozession“ angreift. Es geht um alles, und im Grunde passiert nichts. Finale mit Jonathan-Meese-Lolitas. Durchgetakteter Irrsinn. Ein Festival der Affirmation. Nachher im S-Bahnhof Schöneweide: Gestank, böses Licht, Penner. Schon beim ersten Kontakt mit der Außenwelt zerfällt der Bühnenspuk.

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