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Totale Kontrolle. In der Inszenierung von Susanne Kennedy leiden die Pflanzen wie die Menschen.

© Berliner Festspiele/Julian Roeder

Theatertreffen: "Warum läuft Herr R. Amok?": Zeit der Zombies

Susanne Kennedy verwandelt Dramen in Installationen. Ihre Inszenierung von „Warum läuft Herr R. Amok?“ war jetzt beim Berliner Theatertreffen zu sehen.

Absoluter Stillstand. Zwei Stunden schaut man dabei zu, wie Menschen sich in Zimmerpflanzen verwandeln. Menschen? In den keimfreien, ordnungswahnsinnigen Interieurs der Regisseurin Susanne Kennedy und ihrer Bühnenbildnerin Lena Newton vegetieren Restexistenzen, Zombiegestalten, Schaufensterpuppen. Die Akteure tragen Masken, die lassen sie sehr bleich und krank aussehen. Sie sind stumm, eigentlich. Bewegen ihre Lippen zu einer Tonspur, auf der die Texte von fremden Stimmen kommen, von Laien. Den Schauspielern auf der Bühne bleibt – ihrer Mimik, ihres Sprachorgans beraubt – nur ein auch noch streng reduzierter Körperausdruck. Der Mensch wird Chiffre.

Das ist das Markenzeichen von Susanne Kennedy. Wie perfekt sie Dramen der Bigotterie in Installationen verwandelt. Im vergangenen Jahr war sie mit „Fegefeuer in Ingolstadt“ von Marieluise Fleißer beim Theatertreffen in Berlin. Und jetzt mit „Warum läuft Herr R. Amok?“, wiederum eine Inszenierung für die Münchner Kammerspiele. Chris Dercon wird sie an die Volksbühne holen. Die Hauptstadt schaut schon mal genauer hin.

Bei den „Amok“-Dreharbeiten anno 1970 ließ sich Rainer Werner Fassbinder kaum blicken. Den Film hat Michael Fengler gemacht, von ihm spricht heute keiner mehr. Die Fassbinder-Welt hat eigene, brutale Gesetze. Fassbinder brachte eine psychologische Härte und einen alptraumhaften Realismus in seine Werke. Das mag der Grund dafür sein, dass sich junge Theaterleute heute für ihn interessieren. Ihnen kommt seine Künstlichkeit entgegen. Da hatte einer Horváth, Fleißer und auch Büchner weitergeschrieben.

Das Leben der Automatenmenschen treibt Susanne Kennedy ins Extrem. Der entscheidende Unterschied zu Fassbinder aber ist: Hier werden die Figuren zu Einheitsgesichtern, bar jeder Individualität, sie können in ihren Uniformkleidern (Kostüme: Lotte Goos) leicht die Plätze tauschen, in der Familie, im Betrieb. Während Fassbinders Kino und Theater vor allem auch durch seine Schauspielerpersönlichkeiten lebte und lebt. Auf der Besetzungsliste von „Warum läuft Herr R. Amok?“ – das Drehbuch entstand zu größeren Teilen aus Improvisationen der Schauspieler – finden sich Kurt Raab, Harry Baer, Irm Hermann, Ingrid Caven, Hanna Schygulla. Vom Kennedy-Kammerspiele-Ensemble (Walter Hess, Christian Löber, Anna Maria Sturm, Edmund Telgenkämper, Cigdem Teke) sind nur geisterhafte Abbilder zu sehen. Sie stehen unter Kuratel.

Das führt zu der Frage, was Susanne Kennedy, Jahrgang 1977, mit der Geschichte aus dem Leben der kleinen Angestellten anfängt. Herr R. ist Technischer Zeichner von Beruf – macht man das inzwischen nicht alles auf dem Computer? Durch die Hightech-Organisation dieses anstrengenden Kunsttheaters mit seinen raffinierten Projektionen weht ein Kleinbürgermief von gestern. Der Song, der am Schluss in apotheotischer Schleife eingespielt wird, stammt von Eric Clapton. „Let It Grow“ erschien 1974.

Hier aber wächst nichts. Nur Wiederholung. Zeit tropft öde vor sich hin. Man wartet darauf, dass endlich mal einer etwas unternimmt, bitte! Schluss mit der Folter! Selbst der Amoklauf – dreifacher Mord – passiert in Zeitlupe, eine Comic-Nummer. Die Zimmerpflanze ist stets groß im Bild, wechselt auch mal ihren Standort. Plötzlich kippt sie um, wirft sich zu Boden. Hält diesen Zoo der Untoten, die Totalkontrolle nicht mehr aus und begeht Selbstmord.

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