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Kultur: Theorie des Superlativs

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen über die beste Band der Welt Die beste Band der Welt! Das war ein Ehrentitel, den wir früher häufiger vergeben haben.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen über die beste Band der Welt

Die beste Band der Welt! Das war ein Ehrentitel, den wir früher häufiger vergeben haben. Eigentlich gab es jeden Monat eine, manchmal zwei. Nur wenige sind es häufiger geworden. Der Superlativ und die Vergänglichkeit hingen eng zusammen. Auszeichnungen, die für die Ewigkeit gedacht sind, sind so blöd wie Eisernes Kreuz und Academy Award und werden ohnehin nur von den Falschen gewonnen. Die beste Band der Welt konnte dies nur für einen kurzen Moment sein. Wir verfügten über präzise Markierungen. Man wusste genau, wen man gehört hatte im Januar 1991 oder im April 1987. Dann kamen DJs, Misstrauen gegen „Künstlersubjekte“ – und der Brauch geriet in Vergessenheit.

Jetzt las ich es wieder in einer Veranstaltungsankündigung. Und freute mich nicht nur über seine Wiederbelebung, sondern konnte auch sofort zustimmen. Es ging um Animal Collective, die für ein Konzert nach Frankfurt und im Sommer oder Herbst auch nach Berlin kommen werden. Der Autor, der aus dem Übermut der Begeisterung, die im Verlust des argumentativen Vokabulars gipfelt und zum bewährten Superlativ springt, hat vollkommen Recht. Ein bestimmter Sprachgebrauch indiziert mehr als die individuellen Ausdrucksabsichten. Wer ohne die Not des Jargons nach diesem Wort greift, der hat sie eben auch wirklich gehört, die beste Band der Welt.

Animal Collective kommen aus New York und gehören zu der Sorte neuer, lockerer und ungezwungener Improvisierer, die aber wenig mit der ernsten Musikgattung Improv zu tun haben. Sie denken in Songs und Kategorien der Pop-Musik. Doch alle Erweiterungen und Expansionen, Kühnheiten und Kakophonien explodieren nicht mehr gewalttätig, verlassen das Register des Experimentellen und Avantgardistischen alter Schule, sondern erweisen sich als unglaubliche Dehnung, als Lockerung und Entspannung. Die Stücke geraten immer wieder ins Formlose, aber ohne den Effekt der Formlosigkeit bombastisch zu instrumentalisieren, sondern tatsächlich ergebnisoffen. Die Lust daran, von der Straße abzukommen.

Dennoch klingen die CDs von Animal Collective nie nach vertrauten Chaos-Genres: Man hat das Gefühl einer auf Freundschaft beruhenden Übereinstimmung, die allem Musikalischen vorgängig ist. Manche Leute hören darin Folk. Aber da verwechseln sie Folk mit den gelegentlich lagerfeuerartig geschlagenen Gitarren oder mit sozialen Idyllen, die man gerne auf die Folklore projiziert. Hier sind sie musikalisch erarbeitet: ohne Regression zum Pastoralen.

Animal Collective verblüffen über die bloße Breite dessen, was geht. Wenn man eine gewisse Ruhe weg hat, die zugleich ins Hypnotische lappt: Langes, zauselig entrücktes Spielen, mit elektronischen wie akustischen, stets sehr liebevoll ausgesuchten Klangkörpern, deren Bestandteile nicht herausbrüllen, wo genau sie herkommen und wie geil zitiert. Kein Jazz, keine „Mitte“Sounds, ein ewiges Sich-Entziehen, Winde aus psychedelischen Kammersounds, die die Hörer unangekündigt und sanft einzwirbeln.

Zwei sehr schöne frühe Werke („Sprit They’re Gone Spirit They’ve Vanished“ und „Danse Manatee“) sind letztes Jahr als Doppel-CD bei FatCat wiederveröffentlicht worden. Jetzt ist „Sung Tongs“ erschienen, wieder wundervoll und mit meinem bisher liebsten Lied zur Bildungspolitik. Nach einem schier endlosen Geschrängel um einen psychedelischen Wohngemeinschaftstisch („Visiting Friends“), hebt ein A-Capella-Gesang a la Beach Boys 1969 an, „College“: Mit der Eindringlichkeit von Leuten, die sich auf bisher veröffentlichten knapp fünf Stunden nie unheiterer Musik aber keinen einzigen naheliegenden Witz gestattet haben, psalmodieren sie: „Youuuuuh……Dohohohoooon…tt Haaaaave To Go To College!“

Wer einmal den Titel inne hatte, die beste Band der Welt zu sein, der begleitet uns dann auch im späteren Leben ganz anders. Intimer. Wie eben Visiting Friends, die vom College abraten. Wer keine der besten Bands mag, sei getröstet, der Titel bezieht sich nur auf Bands: es gibt immer Elektronik-Göttinen, Sänger, Kellner, Komponisten, Dirigentinnen und Plattenauflegerinnen, die noch besser sind.

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