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Kultur: Thomas Bischoff inszeniert "Der gestohlene Gott" von H. H. Jahnn - und dreht die Berliner Volksbühne nach rechts

Mit krachenden Orgelkaskaden werden die Zuschauer von Zeit zu Zeit aus der Trance gerissen. Oder ist es Erschlaffung?

Mit krachenden Orgelkaskaden werden die Zuschauer von Zeit zu Zeit aus der Trance gerissen. Oder ist es Erschlaffung? Totengräberstimmung herrscht. Die Bühne, dunkelrot-braun und leer, klafft wie ein monumentales Maul. Eine Gruft, ein heidnischer Tempel, wo Menschenopfer zelebriert werden. Der Grundton ist Gebrüll. Kasernenhof, Begegnungen: Dieses Theater stößt ab und wühlt auf. Denn es wird mit seltener Konsequenz exekutiert. In Gral-Gewittern.

Eine Zumutung, das! Frank Castorfs Volksbühne hat einen neuen Hausregisseur - Thomas Bischoff. Er ist Anfang Vierzig, stammt aus der DDR, hat sich an Heiner Müller und Einar Schleef geschult, und er manifestiert mit seiner ersten Regie am Rosa-Luxemburg-Platz, dass er nicht wie andere Regisseure der jüngeren Generation hier gleich wieder das Handtuch zu werfen gedenkt. Ob sie Jürgen Kruse, Stefan Bachmann, Leander Haußmann, Stefan Pucher oder Michael Simon hießen, sie kapitulierten vor der "schlagenden Hässlichkeit" der Volksbühne, wie Ivan Nagel einmal treffend die Architektur beschrieb. Sie alle ließen sich beeindrucken von dem Riesenhaus. Nicht Thomas Bischoff und seine Ausstatterin Uta Kala: Sie halten massiv dagegen. Pflanzen der Volksbühne einen eigenen totalitären Entwurf auf. Knallen ein Stück auf die Bretter, das kein Mensch kennt, und lassen es in bald drei Stunden ohne Pause quälend langsam abrollen, als hätte sich ein Panzer auf einer spiegelblanken Fläche festgefahren.

Ohne Glauben leben lautet die Volksbühnen-Parole für die Spielzeit 2000, dazu passt "Der gestohlene Gott" von Hans Henny Jahnn wie die Faust aufs Auge. 1924 erschienen, wurde die Tragödie erst 1993 von Studenten in Jahnns Heimatstadt Hamburg uraufgeführt. Hans Henny Jahnn (1894 - 1959) steht als Solitär in der deutschen Literatur: Radikaler Träumer, geheimbündlerischer Homosexueller, wüster Symbolist, Baumeister und Orgelbauer. Ein zutiefst germanischer Charakter, anfällig für das Faschistoide - und auch wieder erbitterter Gegner des Massenfanatismus. So gleicht seine Biografie einem kruden Gesamtkunstwerk. Und so legt Bischoff seine Inszenierung an - als Hommage an einen schwer zu begreifenden, dunklen Unbekannten.

"Der gestohlene Gott" verrät vielfache, einschlägige Einflüsse. Dies ist ein Drama von sehr jungen Leuten, die nicht alt und "hässlich" werden wollen und um ihre Liebesbeziehungen einen Totenkult errichten. Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" scheint durch, auch ähnlich gestrickte frühe Dramen von Arnolt Bronnen, selbst der junge Brecht, der "Baal"- Priester, klingt von fern noch an. Und natürlich Cocteaus "Kinder der Nacht" (Les enfants terribles). Über allem dräut Nietzsche. Jahnns Jünglinge basteln am Übermenschen. "Wir ahnten schon, dass wir andere und heiligere Sitten ins uns errichten müssen, Ihnen fern und unverständlich": So schmerzhaft-verblasen, pubertär und onanistisch orakelt die Jugend - und beschimpft die Alten. Die Eltern haben ihnen Familienverhältnisse aus Lug und Betrug, Ehebruch, untergeschobenem Nachwuchs aufgedrückt - und die Antwort der Jungen lautet dito Inzest und Selbstmord. Was Jahnn befeuert und Bischoff nachbetet, ist die Flucht in einen gereizte Pose, ist Protest, der nach Blut schreit und sich in Führer-Phrasen gefällt.

Nein, sie haben sich nicht die Köpfe kahlgeschoren. Sie tragen keine Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefel. So einfach ist es nicht. Uta Kala kleidet das Ensemble in durchaus elegant geschnittene Anzüge und mit kräftigen Farben, damit bekommen die Akteure etwas Puppenhaftes. Das Drama wirkt wie auf dem Schachbrett hingestellt. Haltung ist das oberste Gebot. Man steht sich zackig gegenüber, in großer Distanz, und deklamiert, als wären es Racine-Verse in der alten Comédie Francaise. Forcierte Künstlichkeit, immer am Rand des Lächerlichen. Wie jeder Drill.

Kaum sind sie voneinander zu unterscheiden: Leonhard Hygin und Leander Sebald, die Halbbrüder, die sich Wendelin, ihre Schwester, in verbotener Liebe teilen. Leonhard, der Stärkere, der Teuflische, treibt Wendelin und Leander in den Tod, zur Hochzeit im Sarg. Seine Grabbeigabe, sein Hochzeitsgeschenk ist - ein Hoden: "Den einen euch, den anderen mir". Aber die Kastration, den Höhepunkt all dieser Selbstzerfleischungsrituale, bekommt das Publikum in der Volksbühne nicht zu sehen. Bischoff belässt es bei der bloßen und hohen Rhetorik, konsequent bis zur letzten Silbe. Liebe, - ist nur ein Wort. Aufruhr, Verschwörung, Mord: Sind Wörter nur und eitle Behauptung. Und es tut doch weh, auch ohne Eiabschneiderei. Weil diese Inszenierung in ihrem echauffierten Ernst, ihrer weggeklemmten Körperlichkeit dem hohlen Pathos des Nationalsozialismus nahe kommt.

Die Menschen sind Werkzeuge. Sie sehnen sich nach Unterwerfung. Bei Frank Castorf wäre das Stoff für eine gnadenlose Komödie, so wie er es kürzlich mit Dostojewskis "Dämonen" vorgeführt hat. Da stehen sie am Abgrund, gehen weiter und lachen. Castorf ist ein unverbesserlicher Komödienregisseur, und mit Thomas Bischoff hat er ein finsteres Pendant gefunden. Nur, Bischoff hat hier nicht die Schauspieler, die den sprachlichen Hochseilakt beherrschen. Man sieht den Kampf, den Krampf. Man erkennt, wie die Protagonisten in ein Konzept gepresst werden. Milan Peschel als Leander, Hans-Werner Leupelt als Leonhard und Cordelia Wege als Wendelin: Sie haben alle nur den einen feierlich-hysterischen Ton. Anders Astrid Meyerfeldt, die Mutter Sebald. Bei ihr spürt man die langjährige Volksbühnen-Erfahrung. Sie hat die Stimme einer Megäre. Sie versprüht dämonische Geilheit. Der alte Hygin (Winfried Wagner) bleibt ebenso Karikatur wie Vater Sebald (Lutz Blochberger), wenn er plötzlich aus der Versenkung auftaucht und das Drama in Gang setzt. Lohnt es sich überhaupt, den Generationenkrieg gegen diese Nussknacker-Physiognomien vom Zaun zu brechen?

Die Orgel rollt. Der Lichtdom strahlt. Aus dem Boden, in dem Brüderchen und Schwesterchen versunken sind, schlägt die Flamme des Unbekannten Soldaten. Mutter Sebald und Leonhard bilden eine Pietà-Gruppe. Das ist die neue Volksbühne - eine Neue Wache. Wer zufällig einen Stahlhelm bei sich trüge, nähme ihn jetzt ab. Zum Gebet.Wieder heute und am 30. Oktober

Rüdiger Schaper

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