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Ein Plattenspieler, wie er schöner nicht sein kann. Arbeitsgerät auch des Schriftstellers Thomas Meinecke

© Imago

Thomas Meineckes "Groove"-Kolumnensammlung "Analog": Ewig neugieriges Gehör

Unersättlicher Popist, Bescheidwisser und Diskursmaschine: Thomas Meineckes erzählt in dem Kolumnen-Buch "Analog" Geschichten aus seinem DJ-und Schriftstellerleben.

Als der Schriftsteller Thomas Meinecke 2007 von der Chefredaktion der Techno- und Elektronikzeitschrift „Groove“ gefragt wurde, ob er eine Kolumne schreiben wolle, sagte er sofort begeistert zu. Meinecke war zu diesem Zeitpunkt zwar schon über 50 Jahre alt und nicht mehr im Alter von Stammleserschaft und Zielpublikum der „Groove“. Aber als Musiker der Band FSK, der er auch seit Jahrzehnten ist, als Radiomoderator und DJ hält Thomas Meinecke sich ständig auf dem Laufenden. Man könnte sagen: Er ist „lost in pop“, musikalisch insbesondere an die Sounds von Disco über House bis Techno. Oder, so, wie er sich bezeichnet: Er ist „ein unersättlicher Popist“.

Sein Buch „Analog“ versammelt jetzt die „Groove“-Kolumnen, die Meinecke sechs Jahre lang geschrieben hat. Es beweist einmal mehr, wie sehr Meinecke der Pop-Sache verbunden ist: ständig unterwegs und nicht zuletzt immer auf der Suche nach dem Neuen und Neuesten.

Das fällt nicht zuletzt stilistisch auf, wenn er zum Beispiel viele Kolumnen mit dem flüchtigen Wörtchen „neulich“ beginnt. „Neulich in einem temporären, albernen Pavillon hinter der Münchener Oper“, da ist er bei einem Event des Techno-DJs Ricardo Villalobos; „Neulich in Berlins Brunnenstraße“, da ist er in einer „kleinen, dunklen Bar mit einer dreieckigen Bühne“ auf einem Konzert; und „neulich zu später Stunde in einem einschlägigen Club“, da legt er selbst auf und wird von einem „ekstatischen Tänzer“ für seinen DJ-Set gelobt. Dann jedoch beschimpft ihn dieser Mann noch für den „unverständlichen Scheiß“, der alle zwei Monate in der „Groove“-Kolumne stehe.

"Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disco ist diskursiv"

Meinecke ist erstaunt: „Wie war es nur möglich, dass er meine nonverbale Tätigkeit so schätzte? Meine Gedanken aber dazu nicht?“. Er fängt sich schnell, räsonniert darüber, wie schwer es sei, Musik in Worte zu fassen und was das für eine Freiheit gerade für Schriftsteller sein könne. Seine Schlussfolgerung ist jedoch unmissverständlich: „Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disco ist diskursiv“. Und eine Sprache findet Meinecke in „Analog“ fast immer für die Musik, die ihn beschäftigt. Das dürfte für Leser, die mit Minimal Techno, Drum &Bass oder Juke nicht so bewandert sind, tatsächlich hin und wieder „unverständlich“ sein; und da reibt man sich selbst als Kenner bisweilen die Augen, wie hoch Meineckes Künstler- und Labelnamen-Umschlaggeschwindigkeit ist, vom Detroiter 3 Chair Labels zu Emotive Records, von den „hollertronisch bollernden Baltimore-Club-Tracks“ über Ed Banger bis zu den „aktuellen Brothers’ Vibe-Produktionen“ geht es schon mal in nullkommanix.

Trotzdem präsentiert „Analog“ nicht nur das Bescheidwissertum eines Nerds, sondern liefert so einige Einblicke in das Leben eines Schriftstellers, in seine Gedanken- und Schreibwerkstatt. „Analog“ ist eine schöne Mischung aus Tour-Tagebuch, Poetologie und Autobiografie. Von Meineckes Aufenthalt in Bahia de Salvador ist des Öfteren die Rede (der eine wichtige Rolle in seinem jüngsten Roman „Lookalikes“ spielt), von einem ihn sehr beeinflussenden Jazz-Konzert mit Dizzy Gillespie, Art Blakey und Thelonious Monk, zu dem ihn sein Vater in jungen Jahren mitnahm. Oder von einem Schulfreund namens Bernd Krämer, „mein vorderster Stichwortgeber in Sachen Ästhetik und Musik“. Und natürlich diskutiert Meinecke in den Kolumnen das, was ihn in seinen Romanen viel beschäftigt: das Konstruierte an Geschlechteridentitäten, sexuelle Dissidenzen, sexuelle Subkulturen. Zum Beispiel diskutiert er einmal die Frage, ob er nun ein „male fag hag“ ist und ob es das überhaupt geben kann. Seine schwulen Freunde erklären ihm, dass mit fag hags Frauen bezeichnet werden, die schwule Männer mögen.  Meinecke argumentiert gendertheoretisch korrekt, dass er kein Mann sei, sondern höchstens einen darstelle, und fühlt sich trotzdem als male fag hag: „Aber von mir aus“, schließt er hinterlistig, „können wir das Adjektiv male auch weglassen.“

Meinecke erzählt aber auch DJ- und Fan-Anekdoten. Nach welchem System er die Platten in seiner DJ-Kiste sortiert, wie er sich in Plattenläden verhält, warum er John Peel bewundert (dieses ewig „neugierig gebliebene Gehör“) und er sich selbst jetzt noch, in reifem Alter, so „jungshaft“ verhält: „Woran ließ sich gleich wieder der Sound von Toronto von dem Montreals unterscheiden?“.

Einmal gesteht er sich fast ein bisschen verzweifelt ein, bei aller Diskursivität, wie schwer es doch sei, einen neuen, ihn geisternden Sound wie Juke auf den Punkt zu bringen, Worte dafür zu finden. Er konstatiert: „Das sind die schönsten Momente in der Sozialisation eines unersättlichen Popisten: Man weiß noch gar nicht, was es ist, das einen da erwischt hat, man liebt es aber schon und genießt es sehr, keine Worte dafür zu haben.“ Nach so einem Geständnis weiß man, dass Meinecke sich auch weiterhin ganz dem Pop und seinen angeschlossenen Kulturen verschreiben wird. So wie es der Techno-DJ Westbam einst so schön auf den Punkt gebracht hat: „We’ ll never stop living this way“. Gerrit Bartels

Thomas Meinecke: Analog. Verbrecher Verlag, Berlin 2013.112 Seiten, 14 €.

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