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Planlos. Lukas Turtur, Veronika Bachfischer, Robert Beyer, Eva Meckbach, Jörg Hartmann und Thomas Bading (von links).

© Arno Declair

Thomas Ostermeier-Inszenierung an der Schaubühne: Gesellschaftsgeschwüre

Von Patienten und Populisten: Thomas Ostermeier inszeniert an der Berliner Schaubühne Arthur Schnitzlers Arztdrama „Professor Bernhardi“.

Warum sehen Journalisten auf der Bühne immer so dämlich aus? In Fernsehfilmen ist es meist nicht besser: Reporter rotten sich zu einer aufdringlichen Meute zusammen, blockieren mit nervigen Fragen den Weg. Nun kann man an der Schaubühne mal wieder einen besonders schmierigen Vertreter dieser Berufsgruppe sehen. Gegen Ende der Inszenierung der Komödie „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler macht ein Journalist (gespielt von David Ruland) beim Professor einen ungebetenen, späten Hausbesuch, um ihm eine exklusive Plattform anzubieten. Der wegen „Religionsstörung“ verurteilte jüdische Klinikchef könne in seiner Zeitung einen persönlichen Artikel schreiben. Der Zuschauer sieht gleich: Es geht hier bloß um Aufmerksamkeit und Auflage.

Nicht viel besser kommt der politische Stand bei Regisseur Thomas Ostermeier weg. Gesundheitsminister Flint, im früheren Leben selber Arzt, wirkt schon durch seine physische Erscheinung sehr flexibel, wenn nicht korrupt. Hans-Jochen Wagner bringt ihn als grauenvoll jovialen, verschwitzt-gewitzten, dicklichen Typen auf die Bühne. Er windet sich im Anzug ebenso wie in seinem Amt, genießt die Macht aber durchaus und verrät für die gute Sache – die Gesundheitsreform – auch gern mal einen alten Freund und Kollegen an die Justiz und den politischen Gegner. Was sind schon zwei Monate im Gefängnis?

Ostermeier renoviert Schnitzler ein wenig

Von Politik und Presse ist in dieser Lage also nicht nur nichts Gutes zu erhoffen, sie sind Teil eines kaputten Systems. Wer in diese Mühlen gerät, kann einpacken. Aber stellt Thomas Ostermeier mit seiner Schnitzler-Inszenierung an der Schaubühne diese Diagnose? Dass am Ende verlogene Medien und politisches Establishment zusammengehören in der Demokratie? Das wäre letztlich sehr nahe am AfD-Ansatz.

Die Schaubühne will natürlich das Gegenteil. Die Fronten sind klar: Eine Politikerin der Rechtspartei hatte – erfolglos – gegen Falk Richters Performance „Fear“ geklagt, in der Populisten und Hasspropagandisten mit drastischen szenischen Mitteln vorgeführt werden. Ostermeier macht es auf seine Art subtiler. Er holt den über 100 Jahre alten Schnitzler aus der Versenkung, renoviert den Text ein wenig und stellt ein Stück zur Debatte, das zeigen will: So schnell dringt Populismus in den Alltag ein, bestimmt den Lauf der Dinge, so einfach funktionieren die Vorurteile gegen Minderheiten. Unterschwellig geht Antisemitismus sowieso immer. Und plötzlich ist der Chef ein Jude. Und ist nicht mehr lange Chef. Und war schon immer ein fragwürdiger Charakter.

Der k.u.k-Sound des Stückes bleibt erhalten

Uraufgeführt wurde „Professor Bernhardi“ 1912 in Berlin. In Österreich war das Stück damals verboten. Es ist ein sehr wortreiches, schwalliges, elegant durchformuliertes Theater und auch sehr österreichisch in seiner Titelsucht. Ständig heißt es Herr Doktor, Herr Professor, Herr Minister, Frau Kollegin usw.

Standesdünkel, das klingt in dieser Form gestrig. Thomas Ostermeier und Dramaturg Florian Borchmeyer bekommen den k. u. k.-Sound nicht heraus. Und wenn die Bernhardi-Seite von „Populisten“ spricht, dann merkt man auch, dass bestimmte Ausdrücke dem alten Text injiziert wurden – vielleicht in zu geringen Dosen. Eine stärkere Bearbeitung wäre nötig.

Die ganze Krankenhaustruppe kommt recht jung daher. Jörg Hartmann in der Hauptrolle ist der Traum vom Chefarzt: dynamisch, gut aussehend, schlagfertig, charmant, im Grunde alterslos. Dagegen macht sein Widersacher Dr. Ebenwald eine deutlich weniger attraktive Figur. Sebastian Schwarz verschanzt sich hinter Formalien, ohne seine Aggressivität und Rücksichtslosigkeit verbergen zu können. Er hat die Kontakte zu den Rechtspopulisten im Parlament, er versucht, Bernhardi zu erpressen. Das kommt einem bekannt vor: Karriere, Beziehungen, Vetternwirtschaft, vermischt mit einer politischer Agenda „Rettet das Vaterland“.

Die zweite Hälfte des Abends kippt ins Skurrile

Was hat er eigentlich verbrochen? Bernhardi erspart einer jungen Frau, die im Krankenhaus nach einer illegalen Abtreibung im Sterben liegt, den Besuch des Priesters. Sie glaubt, dass sie geheilt sei. Es sind ihre letzten Minuten im Leben, die Euphorie vor dem Exitus. Bernhardi will nicht zulassen, dass sie wegen der Sterbesakramente aus ihrem Traum erwacht. Er schickt den Priester fort. Daraus wird ihm der Skandal gemacht, dem jüdischen Arzt, der den katholischen Geistlichen und damit die Mehrheit der Bevölkerung im Glauben verletzt.

Ein Lehrstück. Eine Komödie, sagt der promovierte Mediziner Schnitzler. Dahin dreht Ostermeiers Inszenierung in der zweiten Hälfte; nicht wirklich ins Komödiantische, aber ins Skurrile. Ein ungeschickter Assistenzarzt namens Hochroitzpointner (Moritz Gottwald) macht ein bisschen Slapstick, die Meinungen werden jetzt noch schneller gewechselt als die sterilen Handschuhe, die Schauspieler rennen ständig offene Pendeltüren ein.

Keine Zeit für Patienten, die Weißkittel sind mit sich selbst beschäftigt. Jan Pappelbaum, der Bühnenbildner, schafft ein schickes Krankenhausmilieu. Ein hoher, weißer Raum, nur ein paar Tische und Stühle, auch mal ein Krankenhausbett. Hospitalatmosphäre, hoch technisiert. Aber die arme Sünderin geht in diesem heutigen Ambiente an einer Sepsis zugrunde. Zu Schnitzlers Zeit war da wohl wirklich nichts zu machen. Derlei Widersprüche haben Ostermeier nie gestört. In seiner berühmten „Nora“-Inszenierung des beginnenden digitalen Zeitalters gehen sie auch noch ständig zum Briefkasten an der Tür. Ins Krankenzimmer – und tief ins Gesicht des Chefarzts – schaut man jetzt mit Videokameras. Eine Frau schreibt Szenenanweisungen auf die weiße Wand, wie Menetekel.

Jörg Hartmanns Bernhardi ist ein cooler Typ

Manchmal herrscht ein großer Ernst in diesen Doktordebatten. Dann wieder – Tür auf, Tür zu – klappert die Komödienmechanik. Ostermeier ist ein Regisseur des Realismus, er besetzt sein Personal typensicher. Das heißt auch, man ist sicher vor Überraschungen. Thomas Bading und Robert Beyer stehen moralisch fest auf Bernhardis Seite und bemerken nicht, dass es auch ihnen an den Kragen gehen soll. Bernhardi selbst betrachtet lange amüsiert das intrigante Treiben, als könne ihm keiner. Jörg Hartmann zuckt nur leicht, wenn der Minister sagt, man lebe schließlich in einem christlich geprägten Land.

Ironie ist Bernhardis Waffe, oder doch eher Indolenz? Ein cooler Typ. Der übersteht die Affäre locker, bleibt ganz bei sich. Aber auch das ist, wie die platte Darstellung von Presse und Politik, ein Problem, bei Schnitzler schon. Folgt in Brexit-Trump-Pegida-Orban-FPÖ-Zeiten der Rückzug ins Private? Halten die Klugen sich besser heraus?

Dieser Bernhardi will die Öffentlichkeitsmaschine nicht bedienen, kämpft um seine Souveränität. Keine Kompromisse. Er will kein Shylock sein. In den stärksten Passagen kann man schön sehen, wie Tatsachen verdreht werden, wie leicht Realität zu fälschen ist. Aber wo sind wir hier, woran soll man sich orientieren? Einerseits noch vor dem Ersten Weltkrieg, vor dem Nationalsozialismus, andererseits im frühen postfaktischen 21. Jahrhundert. Die klischeefreudige Aufführung scheint ständig zu sagen, das ist alles nur fiktiv. Der Konflikt zwischen Arzt und Priester wäre heute nicht mehr vorstellbar. Das rhetorische Duell am Ende entscheidet Bernhardi viel zu leicht für sich – der junge Geistliche (Laurenz Laufenberg) stellt keine wirkliche Gefahr dar, auch keine moralische Instanz. Etwas spannungsreicher verläuft die Aussprache des fast schon wieder rehabilitierten Professors mit dem Ministerialrat, einem zynischen Romantiker im Vorzimmer der Macht (Christoph Gawenda). Lohnt sich der Kampf? Wofür? Gehört Selbstverleugnung zum politischen Handwerk? In was für einer Gesellschaft leben wir?

Die Menschen wollen Debatten führen

Aber da ist der Abend – nach immerhin über zweieinhalb Stunden ohne Pause – zu Ende. Und was war das jetzt? Das Pilotstück zu einer neuen Krankenhausserie? Der moralisch-politische Befund hat schließlich nichts allzu Bedrohliches. Im Hospital am Lehniner Platz sieht man zwar den einen oder anderen Kunstfehler, man möchte hier auch nicht unbedingt auf seine OP warten und das Ganze macht einen recht teuren Eindruck. Aber dann ist alles doch nicht gar zu schlimm. Nichts Bösartiges, harmlos. Ein Routineeingriff. Der starke Premierenapplaus aber hat gezeigt, dass es für diese Art des Theaters ein großes Bedürfnis gibt. Die Menschen wollen zuhören können, sie wollen Debatten führen. Im Postfaktischen zählt wieder mehr das Wort.

Weitere Aufführungen vom 19. bis 23. Dezember sowie vom 3. bis 6. Januar.

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