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Thomas Struth im Museum für Fotografie: Laune der Zeit

Noch muss das Museum für Fotografie improvisieren. Mit einer Struth-Ausstellung zeigt es, was es vorhat

Vor der Ewigkeit ist selbst der Pergamonaltar nur eine Momentaufnahme. Und trotzdem erscheint uns das gigantische archäologische Bauwerk, das Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem türkischen Pergamo nach Berlin verfrachtet wurde, als erhebe es sich über die Zeiten. Der Düsseldorfer Künstler Thomas Struth hat dieses Monument antiker Götterverehrung nun in einer Sekunde zusammengefasst: indem er es fotografierte. Sicher, der Pergamonaltar wurde schon tausendfach abgelichtet für wissenschaftliche Publikationen oder als private Erinnerung. Struth aber setzt ihm ein Denkmal. Dabei steht nicht allein der Pergamonaltar im Mittelpunkt seiner opulenten Inszenierung, sondern mit ihm der Mensch, der das Kunstwerk besichtigt. Ein Puppe-in-der-Puppe- Spiel: Der heutige Betrachter betrachtet die von Struth betrachteten Betrachter in Betrachtung des Pergamonaltars.

Mindestens ebenso vertrackt scheinen die Umstände, unter denen dieses Werk eines der wichtigsten Vertreters der konzeptionellen Fotografie überhaupt gezeigt werden konnte. Denn Veranstalter der Präsentation von Struths Pergamon-Zyklus im Hamburger Bahnhof ist das Museum für Fotografie, das im Juni seine Pforten in der ehemaligen Kunstbibliothek am Bahnhof Zoo öffnen wird. Auf diese Weise reflektiert die Ausstellung nicht nur die zeitlich-philosophische Dimension eines Museumsbesuchs, sie zelebriert auch die weit über die ganze Stadt gesponnenen Fäden der Staatlichen Museen: vom Pergamonmuseum über den Hamburger Bahnhof bis zum Museum für Fotografie.

Berliner Museen sind von jeher eng miteinander verwoben. Ein Domino-Effekt stellt sich ein, sobald eines der Häuser neu gedacht wird. So sollte das Museum für Fotografie, damals noch bombastisch Deutsches Centrum für Photographie genannt, ursprünglich im östlichen Stülerbau in Charlottenburg residieren, wo sich bis zu seinem Umzug auf die Museumsinsel das Ägyptische Museum befindet. Die Schenkung des Archivs von Helmut Newton im Oktober 2003 beschleunigte die Planung. Der im Januar tödlich verunglückte Fotograf hatte sich ausdrücklich eine schnelle Realisation des Unternehmens gewünscht, ja sogar Gelder für Umbaumaßnahmen bereitgestellt. Der passende Ort wurde mit dem ehemaligen Offizierskasino der preußischen Landwehr in der Jebensstraße gefunden, in dem allerdings noch Depots und Werkstätten anderer Sammlungen untergebracht waren.

Bis zum Eröffnungstag am 3.Juni wird für die Newton-Stiftung alles gerichtet sein: das Entree mit Cafeteria und Buchladen sowie das erste Geschoss mit den beiden Eröffnungsausstellungen „Sex and Landscape“ und „Us and Them“, die das Schaffen des großen Gesellschafts- und Modefotografen würdigen. In einer Pressekonferenz wird June Newton, die Witwe, heute weitere Details mitteilen. Das Museum für Fotografie selbst muss derweil noch warten: Ihm steht bislang nur der riesige Kaisersaal im zweiten Geschoss zur Verfügung, eine Kriegsruine, der das richtige Licht, Stellwände und Klimaschutz fehlen. Für eine Sanierung mangelt es an Geld; in den anderen Räumen harren die Depots vom Museum Europäischer Kulturen noch ihres Umzugs. „Es gibt keine einfachen Lösungen mehr, aber es gibt welche“, hatte Stiftungspräsident Lehmann bei der Unterzeichnung des Vertrages mit Newton im vergangenen Jahr noch gesagt. Man beginnt zu ahnen, was damit gemeint sein könnte.

Und trotzdem ist die zügige Eröffnung selbst eines improvisierten Museums für Fotografie ein Signal, auf das man in Berlin lange gewartet hat. Den Auftakt wird der vor einem Jahr angetretene Museumsleiter Ludger Derenthal mit einer Installation des eher als Bildhauer bekannten Berliner Künstlers Raimund Kummer machen. Den durch die äußeren Umstände bedingten unkonventionellen Start nimmt Derenthal als Chance, um die jüngste Gegenwart der Fotokunst vorzustellen. Für klassische Präsentationen muss er so lange auf den Hamburger Bahnhof zurückgreifen.

Mit Thomas Struth setzt sein Museum ein erstes Zeichen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen gesteckt. So mancher hatte gehofft, die in den vergangenen zwei Jahren durch Amerika tourende Retrospektive des international renommierten Fotokünstlers zu sehen. Stattdessen gibt es eine auf die sechs Bilder seines Pergamon-Zyklus reduzierte Themenausstellung, ergänzt um eine Vielzahl von Studien und Kontaktabzügen. Erstmals lässt sich der Schüler der legendären Klasse von Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie über die Schulter blicken und offenbart den Entwicklungsprozess bis zur Entscheidung für das endgültige Bild.

Seit den Achtzigerjahren treibt ihn das Motiv Museum um, nachdem er sich zuvor mit Straßen und Familienbildnissen beschäftigt hatte. Seine berühmten Großformate von Hauptwerken der Kunstgeschichte zeigen stets zufällig ins Bild geratene Galeriebesucher. Beim Pergamonmuseum sollte das nicht gelingen; fünf Jahre lang, von 1996 bis 2001, kehrte er immer wieder zurück, aber die Besucher führten zu viel Eigenleben, als dass sie sich für einen klassischen Struth geeignet hätten. Am Ende musste er 150 Darsteller engagieren, um das Verhältnis von imponierender Antike und andächtiger Betrachtung auszubalancieren. Herausgekommen sind ein halbes Dutzend großartige Werke, deren erstes der scheidende Antikendirektor Wolf-Dieter Heilmeyer als Geschenk erhält.

Allerdings sieht man den Bildern an, dass es auf ihnen nicht ganz mit rechten Dingen zugeht: Zu perfekt sind die Besucher vor dem Markttor von Milet verteilt; „zu jung und intelligent“ würden sie wirken, monierte auch Generaldirektor Schuster. „Eher zu deutsch“, erwiderte Struth. Egal, vor der Geschichte, der Ewigkeit, sind wir ohnehin alle gleich.

Hamburger Bahnhof (Invalidenstr. 50-51), bis 1. August; Di – Fr 10-18 Uhr, So/So 11-18 Uhr. Katalog 20 Euro. Heute (16 Uhr): Gespräch zwischen dem Künstler und Wolf-Dieter Heilmeyer .

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