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Dahingelümmelt. Der New Yorker Musiker Thurston Moore, 54

© promo

Thurston Moores Soloalbum "Demolished Thoughts": Die Vergangenheit lügt nicht

Erziehung der Gefühle: Ein Soloalbum von Thurston Moore, dem Kopf der New Yorker Indierock-Helden Sonic Youth

Bevor man nur einen Ton gehört hat, fällt auf, mit was für einer Hingabe Thurston Moore wieder einmal das Artwork seines neuen, inzwischen vierten Soloalbums „Demolished Thoughts“ gestaltet hat. Ein dickes Büchlein liegt dem Album bei, in zwei Hälften geteilt. Die eine zeigt Fotos aus dem Leben Moores und enthält die Songtexte, die andere wurde vermutlich vollgeschrieben von den beiden entscheidend mitbeteiligten Mitmusikerinnen: der Violinenspielerin Samara Lubrelski und der Harfenistin Mary Laffimore. Dann gibt es auf dem Cover Zeichnungen und innen drin noch weitere Fotoaufnahmen, etwa von Thurston Moores Mutter am Times Square im Jahr 1949..

Diese Hingabe hat natürlich etwas mit den künstlerischen Zusammenhängen zu tun, aus denen der Sonic-Youth-Mastermind stammt, von Postpunk, Jazz bis High Art; mit seinem Popverständnis, demnach ein Song immer Ausdruck seiner Lebens- und Arbeitsverhältnisse ist und als solches nur Teil eines Gesamtkunstwerkes. Wenn man aber das Foto von Klein-Thurston an seiner Schreibmaschine sieht oder das des jungen Thurston an der Gitarre in seinem Zimmer vor einem Poster der legendären US-Hardcore-und Punkband Black Flag, scheint auch das Alter eine nicht unwichtige Rolle bei der Albumgestaltung gespielt zu haben. Der Drang, Rückschau zu halten, die weniger mit Sonic Youth zu tun hat als vielmehr persönlicher Natur ist.

Moore schreibt an einem Entwicklungsroman, den er mit dem 2007 veröffentlichten Album „Trees Outside The Academy“ begonnen hat. Hatte dieses Album viel Stürmendes, Drängendes, auch Unfertiges, Unentschlossenes, da es genauso auf den Kunstlärm seiner Hauptband Sonic Youth verwies wie es versuchte, die Geige von Samara Lubrelski auszustellen und eine andere Soundfarbe zu kreieren, so ist „Demolished Thoughts“ dagegen geradezu formvollendet geraten. Neun meist extrem ruhige und gelassene, von dem Neunziger-Jahre-Lo-Fi-Helden Beck Hansen („I’m a Loser Baby, why don’t you kill me“) umsichtig produzierte Folksongs hat Moore eingespielt, unter anderem eine Ode an die Orchard Street in seinem Lower-Eastside-Kiez. Manchmal bekommt man beim Hören den Eindruck, er habe diese Stücke vor allem für seine zwei Mitstreiterinnen geschrieben, so sehr drängt sich in den meisten Songs vor allem die Violine in den Vordergrund, ganz der Vorgabe des einen Booklet-Teils entsprechend: „Girl on girl. This poetry does not discriminate“. Diese Musik auch nicht. Lubrelski und Laffimore sind hier für die Sonic-Youth-Elemente zuständig. Was an Pling-Pling-Pling-und Feedback-Nervereien bei Sonic Youth die Gitarren von Lee Ranaldo und Moore besorgen, erledigen dieses Mal die oftmals hart und monoton gezupften Saiteninstrumente in längeren, an den Nerven zerrenden Instrumentalpassagen wie in „Blood Never Lies“ oder „Space“.

Thurston Moore spielt dagegen fast zurückhaltend seine akustische Gitarre. Er wird meist nur im Zusammenspiel mit der Harfe und Violine dramatisch, da kämpft er richtiggehend, wie in „Orchard Street“. Genau so wenig ausgetrieben hat er sich diese krächzende, jungenhafte Achtziger-Jahre-Wehmut in seiner Stimme, die am kraftvollsten, schönsten und mit ein wenig Hall unterlegt in „Silver Rain With A Paper Key“ zum Ausdruck kommt.

Dieses Rolling-Stones–Gefühl, dieses Bob-Dylan-Gefühl, nämlich einerseits zu wissen, weitermachen zu müssen, in welcher Form auch immer, andererseits den Klassikerstatus gleichermaßen bestätigen und unterlaufen zu müssen, dieses Gefühl dürfte Thurston Moore im Lauf der Zeit zunehmend überkommen. Vermutlich begegnet er ihm am besten damit, mit Sonic Youth weiter auf Underground-und Noise-Klassik zu setzen, wie überkommen oder ranzig das dann klingen mag; und in dem er als Kontrapunkt die eigene, private Geschichte auf immer ruhigeren, songorientierteren Alben weitererzählt.

„Demolished Thoughts“ von Thurston Moore ist bei Matador/Beggars erschienen

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