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Kultur: „Tier mit drei Köpfen“ Dzevad Karahasan über die Rätsel des Balkans

Herr Karahasan, Sie sind Bosniens bekanntester Schriftsteller. Hat es Sie enttäuscht, dass Bundeskanzler Schröder bei seiner Balkanreise diese Woche ihr Heimatland ausgelassen hat?

Herr Karahasan, Sie sind Bosniens bekanntester Schriftsteller. Hat es Sie enttäuscht, dass Bundeskanzler Schröder bei seiner Balkanreise diese Woche ihr Heimatland ausgelassen hat?

Selbstverständlich hat es mich enttäuscht. Doch ich kann es auch nachvollziehen. Mit wem hätte er dort sprechen können? Mit dem EU-Verwalter? Der war kürzlich in Berlin, und Herr Schröder hat Gelegenheit gehabt, mit ihm ausführlich zu sprechen. Mit dem Dreier-Präsidium Bosniens, das wie ein mythologisches Tier mit drei Köpfen und ohne Hintern aussieht und auch so „funktioniert“? Was würde so ein „Gespräch“ bringen? Ich denke, Herr Schröder hat der Wirklichkeit gemäß gehandelt: Indem er Bosnien umging, hat er indirekt die Schein-Existenz Bosniens als Staat artikuliert.

Paddy Ashdown, den Chef der internationalen Verwaltung in Bosnien, nennen Sie „Paddy der Große“. Was kritisieren Sie an ihm?

Keinesfalls will ich mich über Paddy Ashdown als Menschen lustig machen, es geht um seine Position. Seit der Epoche des Absolutismus war keine politische Instanz oder Person in Europa mit so viel Macht ausgestattet, wie der EU-Verwalter Bosniens: Wie ein absolutistischer Herrscher kann er nach Belieben schalten und walten. Er darf alles Erdenkliche und trägt dabei eine Verantwortung nur vor dem lieben Gott. Der bosnischen Bevölkerung gegenüber hat er keine Verantwortung, auch nicht gegenüber Uno oder EU. Ich vermute, das dies an der Ratlosigkeit der Auftraggeber liegt: Um klare Aufgaben und Fristen zu setzen, müsste man wissen, was man erreichen will. Und keiner weiß es. Ob Bosnien ein Staat der Bürger nach europäischem Muster werden soll? Oder ein Konglomerat dreier rassistischer Schein-Staaten? Oder ein Pseudo-Staat, der nur Anlass bietet für die ewige Anwesenheit fremder Soldaten auf dem Gebiet? Oder ...?

Was halten Sie von dem Vorschlag, in Bosnien mit anderen Intellektuellen einen Beirat zu gründen, der die Verwalter berät?

Den Vorschlag halte ich für sehr vernünftig und plausibel. In Bosnien leben heute noch immer zahlreiche Intellektuelle, die weder nationalistisch noch parteiisch denken, klare, offene Köpfe. Ein solcher Beirat könnte wesentlich dazu beitragen, die Kommunikation zwischen den Verwaltern und der Bevölkerung realistischer werden zu lassen. Denn diese Kommunikation ist derzeit nur Schein.

Sie kritisieren etwa, dass die internationalen Verwalter die Medien gängeln. Medien müssen sich gleichwohl verändern. Demokratische Prinzipien verlangten auch die Alliierten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

In der Analogie steckt der Teufel. Die Unterschiede zwischen dem Nachkriegsdeutschland und Bosnien sind gewaltig und lassen keinen Vergleich zu. In Bosnien sind Kriegstreiber und Aggressoren belohnt worden, alle Kriegsziele der Nationalisten sind erreicht und sie sind in Dayton offiziell anerkannt worden. Die Politik der internationalen Gemeinschaft in Bosnien kann man als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bezeichnen. Eine „Nachkriegszeit“ in Bosnien, der Wiederaufbau, wenn man so will, ist bis dato eher Vollendung des Krieges als tatsächliche Normalisierung gewesen.

Es muss aber eine konstruktive Vision für die Zukunft geben. Was schwebt Ihnen als Wunschbild für Südosteuropa vor?

Sollte ein kulturell mosaikartig gestaltetes, geeintes Europa gelingen, wäre die bestmögliche Lösung für die Länder Ex-Jugoslawiens eine Mitgliedschaft aller in der EU. Würden aber die Priester des Neoliberalismus in Brüssel aus Europa eine Festung des ökonomischen Totalitarismus machen, gäbe es für diese Länder keine Chance, in der EU „aufzugehen“. Doch das hätte auch sein Gutes. Ich sehe nämlich keinen Vorteil darin, zu einer Welt zu gehören, in der Menschen als Mittel zum Profit angesehen werden.

Wenn Sie einen Rat an internationale Verwalter anderswo in der Welt, etwa im Irak, geben würden, was läge Ihnen am meisten am Herzen?

Zuallererst geht es darum, die Einheimische als Menschen anzusehen, als Partner, als Vertreter einer anderen Kultur. Das heißt eben auch einer anderen Lebensweise. Dieser Andersartigkeit Achtung entgegenzubringen wäre für die Verwalter sehr vorteilhaft. Nicht nur, weil es ihre Arbeit leichter machen würde, sondern auch, weil es für Westler sehr gut wäre, eine Weltsicht zu erlernen, in der Macht keine zentrale Rolle spielt.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

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