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Tilman Spengler.

© dpa

Tilman Spengler: "Die Kunst ist unschuldig"

Einreise verweigert: Der Schriftsteller und Sinologe Tilman Spengler spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über China und die deutsche Ausstellung in Peking.

Herr Spengler, Sie haben 2010 eine Laudatio auf den späteren Friedens-Nobelpreisträger Liu Xiaobo gehalten, der in China inhaftiert ist. Nun wurde Ihnen die Einreise nach China zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in Peking verweigert, und zwar als Mitglied der Delegation des Außenministers. Hat es etwas Vergleichbares schon einmal gegeben?

Es ist üblich, solche Gästelisten nicht zusammenzustreichen. Das ist eine Premiere. Alle Nachfragen beim Botschafter vonseiten des Auswärtigen Amts und des Bundespräsidialamts wurden negativ beschieden. Natürlich macht man das über den Botschafter. Mit denen, die in Peking entscheiden, hat man keinen direkten Kontakt. Das wäre so, als ob man zu DDRZeiten versucht hätte, mit dem Stasi-Chef Erich Mielke Kontakt aufzunehmen.

2001 waren Sie mit Kanzler Schröder und 2008 mit Außenminister Steinmeier in China. Hat sich die Lage dort verschlechtert?

Es gibt eine Rolle rückwärts in die Zeit von vor 20 Jahren, nach 1989. Man sieht es am Schicksal der Menschenrechts-Anwälte, sie sind alle verschwunden, weggesperrt. Oder daran, dass die ausländischen Journalisten kujoniert werden wie lange nicht mehr.

Ist das Regime nervös wegen der Unruhen in der arabischen Welt?

Ich glaube nicht. Die Verschärfung begann ja schon vor dem Sturz von Mubarak, denken Sie nur an den Nobelpreisträger Liu Xiaobo, der nicht nach Stockholm reisen durfte und von dem wir im Augenblick nicht wissen, wie es ihm geht. Es ist schwer, sich einen Reim darauf zu machen, denn die Wirtschaft ist stabil und eigentlich dachte man, auch der Amtswechsel nach Hu Jintao würde die Lage in China eher stabilisieren.

Der Künstler Ai Weiwei sagt, der Platz des Himmlischen Friedens – wo 1989 der Studentenaufstand blutig niedergeschlagen wurde – sei der denkbar ironischste Ort für eine Ausstellung über die Aufklärung. Stimmen Sie ihm zu?

Jede Bemühung, wenigstens einen Funken des Geistes der Aufklärung dorthin zu tragen – mit welch unzulänglichen Mitteln auch immer –, ist nicht ganz falsch. Dieser Aspekt wiegt in meinen Augen schwerer als die Gefahr, dem Regime mit einer repräsentativen Ausstellung legitimatorischen Glanz zu verschaffen. Dass es eine Kontroverse gibt, ein kleines Skandalon, das spricht sich auch in China herum und wird das ein oder andere Nachdenken bewirken. Versuchter Wandel durch Annäherung ist besser, als den Chinesen mit moralischem Impetus zu zeigen, wo es lang geht: Die Situation ist nicht grundsätzlich anders als vor 30 Jahren im geteilten Deutschland. Hinzu kommt: Die Ausstellung der Staatlichen Museen Berlin, der Kunstsammlung Dresden und der Bayerischen Staatsgemäldesammlung ist relativ kostspielig …

… das Zehn-Millionen-Euro-Budget stammt aus Deutschland …,

… und normalerweise zahlt der, dem sie ausgerichtet wird, nicht der, der die Exponate zur Verfügung stellt. Das ist hier umgekehrt. Das Projekt wurde vor vier Jahren von Frank-Walter Steinmeier angeschoben. Einen so aufwendigen Prozess kann man nicht im letzten Moment ausbremsen, ein Exempel statuieren und als Außenminister die Eröffnung absagen.

Warum eigentlich nicht? Kann man sich überhaupt noch richtig verhalten angesichts der verschärften Lage, in der die Ausstellung nun stattfindet – ob als Politiker oder als Museumsdirektor wie Michael Eissenhauer oder Martin Roth?

Die Repressionsmechanismen haben sich in China zweifellos verschärft. Aber die Kunst ist unschuldig, ein Gemälde von Henry Raeburn oder ein Sextant. Es ist Flaschenpost, um es mit Adorno zu sagen. Mit Bedeutung werden die Exponate durch die Erklärungen aufgefüllt. Man sieht das Gemälde einer schönen Frau, und in der Erklärung dazu geht es vielleicht um die Rolle der Frau in jener Zeit, um Emanzipation. Da wird es problematisch in China. Erst recht für die Salons, die dazu veranstaltet werden sollten.

Aber auch die Kunst wird zum Politikum in einem so politischen Rahmen, sie wird in Dienst genommen. Ist es nicht manchmal angebracht, sich dem zu verweigern?

Darüber kann man trefflich streiten. Früher war der Platz des Himmlischen Friedens von Mao Tse-tung dominiert, seiner Büste und seinem Leichnam im Mausoleum. Jetzt steht auch Konfuzius auf dem Platz, schön symmetrisch ausgerichtet. Das ist schon mal eine leichte Entpolitisierung dieses zentralen Orts in Peking. Und im erweiterten, wiedereröffneten Nationalmuseum gibt es nun nicht nur die Galerie chinesischer Ruhmestaten. Wir weisen darauf hin, dass China mehr ist als die Summe seiner revolutionären Kräfte und es dort auch eine Geistesgeschichte gibt. Das ist ein kleiner Fortschritt.

Ist es das, was auswärtige Kulturpolitik leisten kann: solche kleinen Schritte zu verstärken – auch wenn ein Friedensnobelpreisträger im Gefängnis sitzt?

Wir haben keine andere Möglichkeit. Die chinesische Kultur befindet sich in einem Zustand, in der das kritische Reflektieren der eigenen Gesellschaft kaum noch stattfindet. Das intellektuelle Klima ist sehr sauerstoffarm. Es gibt nicht nur die Partei, es gibt auch eine selbst verschuldete Unmündigkeit der chinesischen Bürger, die nicht auf das Recht zur Reflexion drängen.

Das klingt jetzt aber doch missionarisch. Wie soll kritisches Reflektieren möglich sein ohne Meinungsfreiheit?

Ich meine nur, es kann nicht schaden, intellektuelles Juckpulver zu streuen. Die Chinesen haben die Nase voll von Politik, weil sie lange über Politik haben reden müssen. Die Älteren denken da an die Kulturrevolution und die Grausamkeiten, die sie erlebten. Nun findet sich die chinesische Bevölkerung vielleicht ein bisschen zu sehr damit ab, dass sie nicht mehr über Politik reden darf. Im Übrigen kann man die Chinesen nicht missionieren. Die reiche amerikanische Bibelmission kam 1902 mit drei Schiffsladungen voller Bibeln nach Kanton. Sie wollte die Bibeln dort und stromaufwärts im Pearl-Delta kostenlos verteilen. Keiner wollte sie haben. Als sie aber anfingen, pro Bibel zwei Dollar zu verlangen, gingen die Bücher weg wie nichts Gutes. Eine historische Lehre, an die Kulturpolitik sich halten kann.

Werden sich viele Chinesen die Ausstellung ansehen wollen?

Das Angebot ist da. Zugegeben, wir haben keine Garantie, ob nicht irgendein Funktionär die Türen wieder schließt. Aber das halte ich für unwahrscheinlich. Das Nationalmuseum wird viel besucht, Schulklassen werden kommen, und es gibt dort nun für ein Jahr diese Ausstellung, diesen merkwürdigen Fremdkörper.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Tilman Spengler, 64, ist Schriftsteller und China-Experte. Diesen Freitag eröffnet Außenminister Westerwelle eine große Ausstellung in Peking. Spengler wurde das Visum verweigert.

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