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Ein Bild, das es in baldiger Zukunft nicht mehr gibt? Leser in der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek, die gerade ihren 60. Geburtstag feierte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Tim Renner diskutiert über Berlins Bibliotheken: Teilhabe im digitalen Zeitalter

Wie sehen sie aus, die Bibliotheken der Zukunft? Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner diskutierte mit Fachleuten im Salon der Amerika-Gedenkbibliothek und stellte klar: Im digitalen Zeitalter können wir uns keine analoge Politik mehr leisten.

Man mag es ja nicht glauben, angesichts von 3500 Menschen, die jeden Tag allein in die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) strömen: Dass das irgendwann aufhören könnte. Dass die Digitalisierung eine Gesellschaft von Trollen aus uns macht, in der keiner mehr irgendwo hingeht, alle zu Hause vorm Rechner sitzen, Musik streamen, E-Books downloaden.

Nein, wer an den Blücherplatz geht, hat nicht dieses Gefühl. Dieser wunderbare Ort, gerade 60 Jahre alt geworden, ist geisteswuselig wie eh und je, trotz Renovierung. Kids aus Kreuzberg widmen sich mit Leidenschaft den Spielen, Zeitschriften, DVDs – und ja, auch den Büchern. Dazu Studierende, Mütter mit und ohne Kopftuch, Rentner. Trotzdem: Da keiner so genau weiß, was die Digitalisierung noch mit uns anstellen wird, sind Diskussionen wie die der Hertie-Stiftung im neugestalteten Salon der AGB beliebt und gut besucht. Es geht um „Wissen für alle – Bibliotheken und Teilhabe im 21. Jahrhundert“, also um die Frage, wie die öffentliche Bibliothek der Zukunft beschaffen sein muss, um weiterhin „eine Säule der Gesellschaft“ zu sein, wie André Schmitz es im Tagesspiegel formuliert hat. Sein Nachfolger im Amt des Kulturstaatssekretärs, Tim Renner, sitzt auf dem Podium, neben ihm Volker Heller, Vorstand der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB), und Hannelore Vogt, Direktorin der Stadtbibliothek Köln.

Hannelore Vogt: Vom Konsument zum Prosument

Die wird von Moderator Michael Knoll als „Vordenkerin“ in Sachen Bibliotheken bezeichnet. Die Stadtbibliothek Würzburg ist unter ihrer Leitung mehrmals zur „Bibliothek des Jahres“ gewählt worden, und ihre Wirkungsstätte in Köln sei deshalb so erfolgreich, weil hier der Impuls zum Selbermachen im Mittelpunkt steht: Der „Prosument“, also der (geistige) Verbraucher, der seine Inhalte selbst produziert, dem die Bibliothek vor allem die Bedingungen dafür bereitstellt. Zum Beispiel können Schüler in einer Spieletesterwerkstatt Ergebnisse in einem Blog veröffentlichen, die Reihe „Geeks@Cologne“ lädt technik- und pixelverliebte Jugendliche zu Vorträgen, Turnieren, Kursen ein, an deren Ende wieder ein gedrucktes Buch steht. „Auch Digital Natives suchen sich einen realen Ort“, sagt Vogt. Volker Heller schickt ihr aus einem anderen Grund neidische Blicke: Ihr Haus ist unter einem Dach vereint – was in Berlin bekanntlich nicht der Fall ist.

Mit dem Nein zur Tempelhofer-Feld-Bebauung wird auch nichts aus der neuen Bibliothek

Und so muss sich Heller auch viel zu den Bauplänen der ZLB äußern. Mit dem Tempelhofer Feld wird es nichts. Die Berliner haben, eher nebenbei, mit der Wohnbebauung auch den Neubau der Landesbibliothek dort verhindert. Eine Erweiterung am Blücherplatz bietet sich an, hat aber auch Gegner. Heller spricht von Prozessen, Verfahren, Absprachen und Akteuren; alles nötig, um einen neuen Standort solide „durchargumentieren“ zu können. Klingt nicht danach, als würde sich in dieser Frage schnell was tun.

Der Abend krankt daran, dass sich Bibliotheksexperten gegenseitig auf die Schulter klopfen. Es fehlt der Stachel, der Widerpart. Der kann auch ein Politiker wie Tim Renner nicht sein, dafür spricht er frisch und am eloquentesten. Und natürlich am meisten über das Thema Digitalisierung. Die große Herausforderung für ihn: Dass auch im digitalen Zeitalter Teilhabe, als eine der Bedingungen von Demokratie, möglich ist, dass keiner zurückgelassen wird. Angst hat er nur davor, dass EU-Politiker die juristischen Konsequenzen, die aus der neuen Online-Welt erwachsen, verschlafen, vor allem im Lizenzbereich: „Wir können uns keine analoge Politik im digitalen Zeitalter mehr erlauben“, sagt er.

Und was ist mit der Gesellschaft von Trollen? Die droht uns, glaubt man Renner, nicht: „Die Großstädte wachsen, obwohl man hier viel teurer lebt als auf dem Land.“ Das Bedürfnis nach Begegnung verschwindet nicht. Wer mit Informationen angefüllt ist bis obenhin, will sich auch austauschen.

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